Montag, 6. April 2020

Insolvenzrechtliche Maßnahmen

Nach dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

Die insolvenzrechtlichen Maßnahmen nach dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht finden sich in dem in Art. 1 geregelten Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz – COVInsAG). Dieses regelt in § 1 die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, in § 2 die Folgen der Aussetzung und in § 3 das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes bei Gläubigerinsolvenzanträgen. § 4 beinhaltet schließlich eine Verordnungsermächtigung. Die Verkündung erfolgte am 27.03.2020 mit Rückwirkung zum 01.03.2020.

 

Zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

 

§ 1 S. 1 COVInsAG sieht eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und nach § 42 Abs. 2 BGB bis – zunächst – zum 30.09.2020 vor, die jedoch nicht generell und ausnahmslos gilt, sondern in § 1 S. 2 COVInsAG durch einige Ausnahmeregelungen beschränkt wird. 

 

SEMINARTIPP

Gerichtsvollzieher, Insolvenzrichter und -verwalter in der Bankpraxis, 07.05.2020, Frankfurt/M.

 


Nach § 1 S. 2 COVInsAG greift die Aussetzung der Antragspflicht nicht ein, wenn

  • die Insolvenzreife entweder nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) beruht (§ 1 S. 2 Alt. 1 COVInsAG) oder 
  • keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen (§ 1 S. 2 Alt. 2 COVInsAG). 

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht soll demnach nur für Fälle gelten, in denen die Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht. Beim Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit soll für die Aussetzung der Antragspflicht zudem erforderlich sein, dass Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen (vgl. Ziffer 2.1. der Fragen und Antworten des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 24.03.2020).

 

Zur Erleichterung der Beweisführung in der Praxis enthält § 1 S. 3 COVInsAG für den Fall, dass am 31.12.2019 keine Zahlungsunfähigkeit vorlag, eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Damit wird das bislang bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt mit der Folge, dass derjenige, der sich auf das Bestehen der Antragspflicht beruft – also beispielsweise ein durch die tatsächliche (wenn auch nicht rechtliche) Insolvenzverschleppung geschädigter Gläubiger oder ein späterer Insolvenzverwalter – nicht nur für die Ausnahmevoraussetzungen gem. § 1 S. 2 COVInsAG, sondern auch dafür die Darlegungs- und Beweislast trägt, dass die Vermutungen gem. § 1 S. 3 COVInsAG tatsächlich nicht vorliegen. Ihn trifft also eine doppelte Beweislast.

 

War der Schuldner dagegen bereits am 31.12.2019 zahlungsunfähig, besteht keine Vermutung, dass die Voraussetzungen gem. § 1 S. 2 COVInsAG nicht vorliegen, sondern es bleibt bei der (einfachen) Beweislast des Gläubigers oder Insolvenzverwalters, dass die Ausnahmevoraussetzungen des § 1 S. 2 COVInsAG vorliegen.

 

Ausweislich Seite 22 der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110) soll die Regelung in § 1 S. 3 COVInsAG nichts an der Beweislast des Satzes 2 ändern. Demnach bleibt es selbst für den Fall, dass der Schuldner am 31.12.2019 zahlungsunfähig war, grundsätzlich dabei, dass das Nichtberuhen der Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie oder das Fehlen von Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit von demjenigen zu beweisen ist, der sich darauf beruft, dass eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht vorliegt. Ausweislich Seite 22 der Gesetzesbegründung sind an die Widerlegung der Vermutung gem. § 1 S. 3 COVInsAG „höchste Anforderungen zu stellen.“

 

Da bei natürlichen Personen die Unterlassung eines Insolvenzantrags gem. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO zur Versagung der Restschuldbefreiung führen kann, erfolgte in § 1 S. 4 COVInsAG eine Regelung, wonach auf entsprechende Verzögerungen im Zeitraum zwischen dem 01.03.2020 und dem 30.09.2020 unter entsprechender Anwendung der Sätze 2 und 3 keine Versagung der Restschuldbefreiung gestützt werden können soll.

 

Zu den Folgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

 

§ 2 COVInsAG regelt die weiteren Folgen einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gem. § 1 COVInsAG, wobei gem. dessen Abs. 2 bezüglich der Aussetzungsfolgen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 ausdrücklich auch eine Erstreckung auf Unternehmen erfolgt, die (überhaupt) keiner Antragspflicht unterliegen, und auf Schuldner, die weder zahlungsunfähig noch überschuldet sind, mithin § 1 COVInsAG bereits von vornherein nicht unterfallen. Letzteres ist nur folgerichtig, da ansonsten im Ergebnis eine Besserstellung insolvenzantragspflichtiger Unternehmen gegenüber nicht antragspflichtigen Unternehmen erfolgen würde. Überdies müsste man angeschlagene Unternehmen anderenfalls erst sehenden Auges in eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit laufen lassen, um sodann in den Genuss der gesetzlichen Privilegierungen zu gelangen, was wirtschaftlich wie rechtlich vollkommen widersinnig wäre.

 

BUCHTIPPS

Cranshaw/Paulus/Michel (Hrsg.), Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2016.

Portisch, Prozesse und Controlling in Sanierung und Abwicklung, 3. Aufl. 2017.

Igl (Hrsg.), Sanierungsplanung in Kreditinstituten, 2019.

 

Die Einführung des § 2 COVInsAG ist neben der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht konsequenterweise erforderlich, da angeschlagenen Unternehmen durch eine bloße Aussetzung der Insolvenzantragspflicht alleine nicht geholfen ist, solange Banken und Geschäftspartner sich in Anbetracht der bestehenden Krise aus Sorge vor der eigenen Verwirklichung denkbarer Haftungs- und Anfechtungstatbestände nicht mehr trauen, mit diesen eine Geschäftsbeziehung aufzunehmen oder fortzuführen.

 

Im Einzelnen sieht § 2 Abs. 1 COVInsAG folgende Erleichterungen vor:

  • Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG gelten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i. S. v. § 64 S. 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG, § 130a Abs. 1 S. 2 HGB, auch i. V. m. § 177a S. 1 HGB und § 99 S. 2 GenG vereinbar. Den Geschäftsleitern soll hierdurch ermöglicht werden, ihr Unternehmen auch in der Krise rechtssicher im ordentlichen Geschäftsgang fortzuführen (vgl. auch die Gesetzesbegründung, dort Seite 23).
  • Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG gilt die bis zum 30.09.2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend. Dies gilt auch für Gesellschafterdarlehen sowie diesen wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlungen, nicht jedoch deren Besicherung. Diese werden zudem vom insolvenzrechtlichen Nachrang ausgenommen.

 

Ausweislich Seite 23 der Gesetzesbegründung sollen von der Regelung ausschließlich Neukredite, nicht jedoch auch bloße Novationen oder Prolongationen umfasst sein. Ziel ist es laut Gesetzesbegründung, Banken und andere Kreditgeber zu einer Zurverfügungstellung neuer Liquidität zu motivieren.

 

§ 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsoAG enthält in der Rechtsfolge eine Fiktion dahingehend, dass die dort privilegierten Darlehen und Sicherheiten als nicht gläubigerbenachteiligend gelten. Mit § 129 InsO sind die hiermit verbundenen Rechtshandlungen damit bereits von vornherein der Insolvenzanfechtung gem. §§ 130 ff. InsO entzogen.

 

Da nur kurz- und mittelfristige Unterstützungsmaßnahmen geschützt werden sollen (vgl. Seite 24 oben der Gesetzesbegründung), wurde eine zeitliche Befristung bis zum 23.09.2023 aufgenommen.

  • Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 COVInsAG sind Kreditgewährungen und Besicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen. Im Gegensatz zu Nr. 2 sind hiervon nicht nur Neukredite, sondern auch Prolongationen und Novationen umfasst (so auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung auf Seite 24 oben). Dies soll der Sorge potentieller Kreditgeber vor einer möglichen zivil- wie auch strafrechtlichen Haftung bei der Vergabe von Neufinanzierungen in Zeiten der Corona-Krise Rechnung tragen. Einer derartigen Haftung wird für gewöhnlich mittels Durchführung einer sorgfältigen Sanierungsprüfung samt Erstellung eines den Anforderungen höchstrichterlicher Rechtsprechung genügenden Sanierungsgutachtens entgegengetreten. Aufgrund der aktuellen Krisensituation wird eine solche jedoch in der überwiegenden Zahl der Fälle in der Praxis nicht möglich sein. Zum einen müsste eine Vielzahl fundierter Sanierungsprüfungen innerhalb kürzester Zeit erfolgen, was sowohl unter Kostengesichtspunkten als auch im Hinblick auf mangelnde Ressourcen zumindest schwierig wäre. Zum anderen erscheint es aufgrund der aktuell bestehenden Unsicherheiten bezüglich Art und Dauer der künftigen Beschränkungen schier unmöglich, eine belastbare Sanierungsprüfung mit Liquiditäts- und Ertragsplanung über den gesamten Sanierungszeitpunkt inklusive Prognostizierung eines konkreten Turnarounds darzustellen.

 

Dass auch weitere Haftungstatbestände – wie beispielsweise eine sittenwidrige Schädigung anderweitiger Gläubiger des Schuldners – ausgeschlossen sein sollten, ist der Regelung nicht zu entnehmen. In der Praxis wird es aufgrund der Gesamtumstände insoweit häufig zumindest an der erforderlichen verwerflichen Gesinnung fehlen. Grundsätzlich sind jedoch weder die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung Dritter gem. § 826 BGB noch der Eingehungsbetrug gem. § 263 bzw. der Kreditbetrug gem. § 265b StGB von der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 COVInsAG umfasst.

 

  • § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG beinhaltet im Ergebnis eine anfechtungsrechtliche Privilegierung der kongruenten Deckung mittels Sicherung oder Befriedigung i. S. v. § 130 InsO. Inkongruente Deckungshandlungen gem. § 131 InsO werden überdies, soweit es sich um Rechtshandlungen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. a) bis e) COVInsAG handelt, ebenfalls privilegiert. Dies betrifft insbesondere Zahlungserleichterungen und Zahlungen durch Dritte auf Anweisung des Schuldners. Die genannten Privilegierungen sollen nur dann nicht eingreifen, wenn dem Anfechtungsgegner bekannt war, dass die Sanierungs- oder Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung schadet insoweit nur die nachgewiesene positive Kenntnis vom Fehlen von Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen oder von der offensichtlichen Ungeeignetheit der Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen. Letzteres beinhaltet eine Beweislastumkehr bezüglich des auch bisher bereits aus der Rechtsprechung (vgl. grundlegend bereits BGH, Urt. v. 04.12.1997 – IX ZR 47/97 = WM 1998 S. 248) bekannten ernsthaften Sanierungsversuchs. Beweisbelastet ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG insoweit derjenige, der sich auf die Anfechtbarkeit beruft, insbesondere also ein etwaiger späterer Insolvenzverwalter. 

 

Entsprechendes soll gelten für Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch Dritte auf Anweisung des Schuldners, die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltigen ist (im Ergebnis der auch bislang in gewissen Grenzen anfechtungsfest mögliche Sicherheitentausch). die Verkürzung von Zahlungszielen und die Gewährung von Zahlungserleichterungen.

 

§ 2 Abs. 3 COVInsAG schließlich beinhaltet eine weitere Privilegierung von Förderkrediten auch dann, wenn der Kredit nach Ende des Auszahlungszeitraums gewährt oder besichert wird, und unbefristet für deren Rückgewähr.

 

Zum Eröffnungsgrund bei Gläubigeranträgen

 

Gemäß § 3 COVInsAG setzt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei zwischen dem 28.03.2020 und dem 28.06.2020 gestellten Gläubigerinsolvenzanträgen voraus, dass der Eröffnungsgrund bereits am 01.03.2020 vorlag. Zweck dieser Regelung ist, die Verhinderung der Einleitung von Insolvenzverfahren noch bevor staatliche Maßnahmen zur Beseitigung der Insolvenzgründe im Zusammenhang mit der Corona-Krise gewährt werden können. Der hierfür in Ansatz gebrachte Zeitraum bis 28.06.2020 erscheint auf den ersten Blick durchaus optimistisch. 

 

Eine Einschränkung wie in § 1 COVInsAG dahingehend, dass eine Kausalität der COVID-19-Pandemie für die Schieflage des Schuldnerunternehmens gegeben sein muss, findet sich hier interessanterweise nicht. Andererseits fällt wiederum auf, dass die Einschränkungen betreffend die Insolvenzantragsstellung durch Gläubiger keinen zeitlichen Gleichlauf mit der Suspendierung der Insolvenzantragspflicht gem. § 1 COVInsAG aufweisen, was allerdings durchaus konsequent gewesen wäre.

 

In Abgrenzung zum Gläubigerinsolvenzantrag bleiben Eigenanträge des Schuldnerunternehmens auch weiterhin möglich. Die Einschränkung bezüglich des Vorliegens des Eröffnungsgrundes gem. § 3 COVInsAG ist auf sie weder direkt noch entsprechend anwendbar. Der freiwillige Gang in die Insolvenz bleibt damit auch weiterhin möglich.

 

Zur Verordnungsermächtigung

 

Die Verordnungsermächtigung gem. § 4 COVInsAG beinhaltet schließlich eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 und die Regelung zum Eröffnungsgrund bei Gläubigeranträgen gem. § 3 COVInsAG bis zum 31.03.2021 zu verlängern. Diese Regelung trägt der Unsicherheit Rechnung, ob und wann sich die Verhältnisse aufgrund der Corona-Krise wieder so weit stabilisieren werden. Eine Verlängerung der Regelung über die Folgen der Aussetzung gem. § 2 COVInsAG hat der Gesetzgeber ausdrücklich als nicht erforderlich erachtet, da alle Tatbestände des § 2 unmittelbar oder mittelbar an den Aussetzungszeitraum gem. § 1 anknüpften (vgl. hierzu Seite 25 der Gesetzesbegründung).

 

PRAXISTIPP

 

Einen Freibrief für die im Unternehmen Verantwortlichen sowie für die finanzierenden Banken stellt das COVInsAG nicht dar. Eine laufende Prüfung etwaiger Insolvenzgründe – insbesondere im Falle vorliegender Indizien für Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung – ist auch weiterhin unerlässlich. Zwar mag der Anwendungsbereich für die Ausnahmeregelung des § 1 S. 2 COVInsAG vor dem Hintergrund der Vermutung des § 1 S. 3 COVInsAG auf den ersten Blick gering erscheinen. Dies könnte sich jedoch in einer Vielzahl von Fällen als gefährlicher Trugschluss herausstellen. Sollte eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit nicht dauerhaft beseitigt werden können, besteht ohnehin auch nach dem COVInsAG weiterhin eine Insolvenzantragspflicht mit allen bisherigen Konsequenzen ihrer Nichteinhaltung. Bestand eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit bereits vor dem 01.01.2020 und dauert diese bis heute an, war mithin nicht etwa in der Zwischenzeit einmal vollständig beseitigt, so bedeutet dies im Übrigen nicht nur, dass man nicht in den Genuss der Vermutungsregel nach § 1 S. 3 COVInsAG kommt. Vielmehr muss man sich überdies die berechtigte Frage gefallen lassen, weshalb hier nicht in Entsprechung der Antragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO bzw. § 42 Abs. 2 S. 1 BGB bereits lange vor dem 01.03.2020 Insolvenzantrag gestellt wurde. 

 

Die Prüfung der (ggf. auch mittelbaren) Kausalität der COVID-19-Pandemie für die Insolvenzreife des Schuldnerunternehmens mag zwar in der Praxis häufig mit Schwierigkeiten verbunden sein, was auch die sehr weitgefasste Vermutungsregelung des § 1 S. 3 COVInsAG hervorgebracht haben mag. Im Falle einer nachweislichen Insolvenzreife bereits vor Ausbruch der Corona-Krise wird man jedoch auch beim besten Sanierungswillen keinesfalls zu einer Suspendierung der Insolvenzantragspflicht kommen können. In derartigen Fällen bleibt es grundsätzlich bei dem bereits bisher bekannten Procedere im Umgang mit der Krise des eigenen Unternehmens aus Geschäftsführersicht bzw. im Umgang mit notleidenden Kreditengagements aus Bankensicht. Aus der Regelung des § 1 COVInsAG folgt insoweit zunächst lediglich eine Änderung der Beweislast zugunsten des Schuldnerunternehmens. 

 

Inwieweit es aus Sicht eines Insolvenzpraktikers insbesondere unter Missbrauchsgesichtspunkten glücklich war, den Stichtag für die Vermutungsregelung gem. § 1 S. 1 COVInsAG bereits auf den 31.12.2019 zu legen und nicht erst auf ein späteres Datum noch vor Ausbruch der Corona-Krise in Europa, mag im Ergebnis dahinstehen. Angemerkt sei hierzu lediglich, dass eine Vermutung dahingehend, dass die Insolvenzreife auf der Corona-Krise beruht, jedenfalls für die Zeit vor Ausbreitung des Virus in Europa Ende Februar 2020 durchaus bedenklich erscheint.

 

In Ansehung der Sonderregelung in § 1 S. 1 COVInsAG empfiehlt sich im Zweifelsfall die vorsorgliche Erstellung eines Zahlungs(un)fähigkeitsstatus per 31.12.2019 nach den anerkannten Grundsätzen des IDW S 11, wobei vorsorglich auf die Expertise eines außenstehenden Experten zurückgegriffen werden sollte. Die im Falle einer nachgewiesenen Zahlungsfähigkeit zum 31.12.2019 gegebene Vermutung gem. § 1 S. 3 COVInsAG ist zwar grundsätzlich widerleglich, schafft jedoch unter Beweisgesichtspunkten im Streitfall eine deutlich verbesserte Ausgangssituation aus Sicht der Unternehmensverantwortlichen sowie der finanzierenden Banken. 

 

Fraglich ist im Übrigen die Definition des Begriffs der „Aussicht, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen“ i. S. v. § 1 S. 2 COVInsAG. Diese Formulierung ist im bisherigen Sanierungs- und Insolvenzrecht nicht gebräuchlich. Nach der Intention des Gesetzgebers dürfte die Aussicht, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, eher weit auszulegen sein. Ausweislich Seite 22 der Gesetzesbegründung ist Zweck der Vermutung des § 1 S. 3 COVInsAG, den Antragspflichtigen von den bestehenden Nachweis- und Prognoseschwierigkeiten effektiv zu entlasten. Eine Widerlegung der Vermutung des § 1 S. 3 COVInsAG soll demnach nur in solchen Fällen in Betracht kommen, bei denen kein Zweifel daran bestehen kann, dass die COVID-19-Pandemie nicht ursächlich für die Insolvenzreife war und dass die Beseitigung einer eingetretenen Insolvenzreife „nicht gelingen konnte.“ Inwieweit dieser speziell auf Fälle der bestehenden Zahlungsfähigkeit per 31.12.2019 gemünzte Maßstab auf Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 S. 3 COVInsAG übertragbar ist, ist jedoch fraglich. Eine explizite Äußerung hierzu ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Die sehr weite Formulierung „Aussichten darauf bestehen“ sowie die bekannte Grundintention des Gesetzgebers sprechen jedoch dafür, die Anforderungen an die Aussicht auf Beseitigung einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit nicht zu hoch anzusetzen, wenngleich die hierfür zu stellende Prognose in der Praxis selbstverständlich auf Basis einer fundierten Grundlage sowie erforderlichenfalls unter Heranziehung eines externen Experten zu stellen sein wird.

 

Was wiederum die Frage des Bestehens einer positiven Fortführungsprognose anbelangt, bestehen zwar nach wie vor gravierende Bedenken, ein offensichtlich nicht zukunftsfähiges Unternehmen künstlich am Markt halten zu wollen. Dies schlägt sich auch entsprechend im Insolvenzgrund der Überschuldung nieder, bei welchem die Fortführungsprognose zentraler Prüfungsbestandteil ist. Fakt ist allerdings, dass in der aktuellen Situation wohl in nicht wenigen Fällen massivste Probleme bestehen dürften, von einem seriös arbeitenden Wirtschaftsprüfer ein Testat im Hinblick auf eine positive Fortführungsprognose zu erhalten. Hintergrund ist, dass hierfür u. a. eine belastbare Ertrags- und Finanzplanung erforderlich wäre, welche zumindest bei jenen Unternehmen, die von den derzeitigen Beschränkungen betroffen sind, allenfalls unter diversesten Prämissen bezüglich der weiteren politischen wie wirtschaftlichen Entwicklungen aufgestellt – um nicht zu sagen „orakelt“ – werden könnte.

 

Naturgemäß stellt sich abschließend die Frage nach etwaigen Missbrauchsmöglichkeiten aufgrund der aus Schuldnersicht sehr weit gefassten Möglichkeiten aufgrund des COVInsAG. Hier spricht zunächst alles dafür, dass der Gesetzgeber etwaige Missbräuche bewusst in Kauf nimmt, um auf der anderen Seite der breiten Mehrheit der betroffenen Unternehmen einen möglichst großen Schutz vor einer Corona-bedingten unverschuldeten Insolvenz zu bieten. Zumindest was jene Engagements anbelangt, in denen unter Verweis auf die Regelungen des COVInsAG die Gewährung neuer Finanzierungen begehrt wird, bleibt es grundsätzlich dabei, dass eine allgemeine bankseitige Kreditversorgungspflicht nach wie vor nicht besteht und es stets einer positiven Kreditentscheidung des finanzierenden Instituts im Einzelfall bedarf (vgl. hierzu bereits grundlegend BGH, Beschluss vom 21.09.1989 – III ZR 287/88 = NJW-RR 1990 S. 110).

Die Vergabe von Krediten an Krisenunternehmen ist zwar durch § 2 Abs. 1 COVInsAG grundsätzlich privilegiert. Dies gilt jedoch nur, wenn entweder schon überhaupt keine Insolvenzantragspflicht besteht (entweder weil der Kreditnehmer als solcher grundsätzlich keiner Antragspflicht unterliegt oder kein Insolvenzgrund besteht, vgl. § 2 Abs. 2 COVInsAG) oder aber die Voraussetzungen des § 1 COVInsAG zur Suspendierung der Antragspflicht vorliegen. Vor einer hierauf basierenden Vergabe neuer Finanzierungen sollte sich das finanzierende Kreditinstitut daher tunlichst vergewissern, dass die vorgenannten Voraussetzungen im konkreten Fall auch tatsächlich vorliegen. Damit ist zwar keine umfassende Sanierungsprüfung, wie sonst im Rahmen von Krisenfinanzierungen üblich, verbunden. Das Vorliegen von Insolvenzgründen und die Aussichten, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, sollten aber vor Kreditvergabe durchaus sorgfältig geprüft werden. Darüber hinaus sollte zumindest eine Plausibilisierung der Kausalität der Corona-Krise für die Schieflage des Kreditnehmers erfolgen.


Beitragsnummer: 6472

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