Mittwoch, 30. September 2020

Risikofrüherkennung mit Hilfe von Kontodaten

Veränderungen der Rahmenbedingungen unter Covid-19.



Dr. Reichardt, Sebastian, Geschäftsbereichsleiter Marktfolge Kredit, Volksbank im Bergischen Land eG

 

Wie jedes betriebswirtschaftliche Handeln ist auch das Betreiben eines Risikofrühwarnsystems der nachhaltigen Maximierung des Gewinns und des Unternehmenswerts unterzuordnen. Während ein Risikofrühwarnsystem hierzu nur in geringem Maße und mittelbar zur Verbesserung der Ertragssituation beitragen kann, indem durch die Vermeidung von Ausfällen der Kreditnehmer ggf. Erfolgspotenziale der Bank erhalten bleiben, liegt das Hauptaugenmerk eines Risikofrühwarnsystems in der Minimierung des Aufwands. Durch ein frühzeitiges Identifizieren von Kreditnehmern, bei denen steigende Risiken zu erkennen sind, soll vermieden werden, dass sich diese Risiken materialisieren. Insbesondere in Zeiten, in denen der konjunkturelle Ausblick schwieriger wird, gewinnt dieser Aspekt zunehmend an Bedeutung.



 

Werkzeuge eines Risikofrühwarnsystems

 

Das Risikofrühwarnsystem soll zunächst auf Basis von Indikatoren Kreditnehmer identifizieren, bei denen sich steigende Risiken abzeichnen. Dies erfolgt u. a. im Rahmen der Auswertung von betriebswirtschaftlichen Unterlagen der Kreditnehmer (in der Regel im Rahmen der laufenden Offenlegung) ggf. i. Z. m. der Überwachung vereinbarter Covenants, durch Informationen von Auskunfteien, im Rahmen von Markt- und Branchenanalysen und auch im Rahmen der Analyse von Kunden- und Kontodaten der Kreditnehmer. Bei diesen Kreditnehmern ist dann mittels einer Bestandsaufnahme genauer zu untersuchen, ob sich der Kreditnehmer in einer strategischen Krise, Ertrags- oder Liquiditätskrise befindet.

 

Die Analyse der Kontodaten von Kreditnehmern wird dazu genutzt, Änderungen im Zahlungsverhalten und in der Liquiditätssituation des Kreditnehmers zu erkennen, da dies Indikatoren für eine Ertrags- und/oder Liquiditätskrise und die damit einhergehenden steigenden Ausfallrisiken des Kreditnehmers darstellen. Insbesondere da es sich bei diesen Daten um bankinterne Daten handelt, welche der Bank nicht mit Zeitverzug erst deutlich nach einem Stichtag zur Verfügung gestellt werden und die ein Kreditinstitut über das gesamte Portfolio technisch auswerten kann, spielen diese Daten meist eine zentrale Rolle im Rahmen der Risikofrüherkennung. Grundsätzlich besteht hier natürlich die Restriktion darin, dass die Auswertung von Kontodaten nur möglich ist, wenn der Kunde bei diesem Kreditinstitut auch ein (regelmäßig genutztes) Zahlungsverkehrskonto hat, aus dem sich Rückschlüsse über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers ableiten lassen. 

 

SEMINARTIPPS

Effektive Frühwarnverfahren in Praxis & Prüfung, 22.10.2020, Frankfurt/Offenbach.

Kreditgeschäfts-Prüfungen der Bankenaufsicht, 26.–27.10.2020, Frankfurt/M.

Neue EBA-Guideline zur Kreditvergabe/-überwachung, 02.11.2020, Frankfurt/M.

Quick-Check BWA-Analyse, 04.11.2020, Frankfurt/M.

Kredit-Jahrestagung 2020, 18.–19.11.2020, Berlin.

 

Zur Risikofrüherkennung auf Basis von Kontodaten werden häufig Kennzahlen genutzt, die sich aus der prozentualen Inanspruchnahme von Kreditlinien ergeben. Eine hohe Auslastung von Kontokorrentlinien/Betriebsmittelkrediten weist auf einen eingeschränkten Liquiditätsspielraum hin und ist damit ein Indiz für eine entsprechende Krise. Die Problematik bei dieser Kennzahl liegt jedoch darin, dass es sich in der Regel um eine statische Betrachtung handelt, die die Auslastung zu einem konkreten Zeitpunkt (z. B. zum Monats-Ultimo) misst und hierbei Veränderungen im Zeitablauf außer Acht lässt.

 

Einflüsse unter Covid-19

 

Zur Unterstützung von Unternehmen und Beschäftigten in der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung diverse Hilfsmaßnahmen verabschiedet. Einige dieser Maßnahmen, wie z. B. die befristete Senkung des Umsatzsteuersatzes, sollen grundsätzlich den Konsum stimulieren bzw. insbesondere einzelne besonders betroffene Branchen, wie z. B. die Gastronomie unterstützen. Andere Maßnahmen, wie z. B. die Erstattungen und Anpassungen von Steuervorauszahlungen, Stundungen von Steuerzahlungen und der Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen während der Pandemie haben eine direkte Auswirkung auf die Liquidität der Kreditnehmer, da entsprechende Zahlungen verschoben wurden. Zudem wurden durch die Ausweitungen der Regelungen zur Kurzarbeit entsprechende Maßnahmen ergriffen, um Arbeitsplätze zu sichern, die aber auch entsprechende Auswirkungen auf die Personalkosten und damit auch auf die Liquidität der Unternehmen haben. 

 

Durch die diversen Kreditprogramme, die von der KfW und anderen Förderbanken zur Unterstützung der Unternehmen ins Leben gerufen wurden, wurden die Unternehmen außerdem mit zusätzlichen liquiden Mitteln unterstützt, wobei die Programme in der Regel mit einer tilgungsfreien Zeit zu Beginn der Darlehenslaufzeit ausgestattet sind. Daher sind während der ersten ein oder zwei Jahre zumeist lediglich Zinszahlungen zu leisten. Im Rahmen des gesetzlichen Moratoriums (für Verbraucher) sowie diverser Maßnahmen der Kreditinstitute wurden zudem häufig Darlehenstilgungen und/oder Zinszahlungen ausgesetzt. Diese Maßnahmen waren/sind sicherlich sinnvoll, um die Liquidität der Kreditnehmer zu sichern. 

 

Der Effekt auf die Risikofrüherkennung ergibt sich dadurch, dass die Inanspruchnahmen der Kontokorrentlinien durch diese Maßnahmen entlastet wurden, wodurch ggf. weniger Kreditnehmer eine Bestandsaufnahme ausgelöst haben. Während die genannten Maßnahmen einen positiven Einfluss auf den aktuellen Liquiditätsstatus der Kreditnehmer haben, so bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass viele dieser Maßnahmen gleichzeitig auch zu einer höheren Verschuldung (durch zusätzliche Förderkredite, gestundete Zahlungen, nicht planmäßig erbrachte Tilgungen, etc.) geführt haben. Diese Erhöhung der mittel- und langfristigen Verpflichtung zu Zins- und Tilgungszahlungen führt tendenziell zu einer höheren Anfälligkeit für Krisen, da die Anforderungen an die Ertragskraft steigen, um zukünftig die notwendigen Mittel generieren zu können. 

 

Welchen Impact die Pandemie auf die Geschäftsmodelle der Kunden hat, bleibt kritisch zu beobachten, da die Auswirkungen z. B. auf das nachhaltige Konsumverhalten aktuell nur bedingt abgeschätzt werden können. Festzuhalten bleibt jedoch, dass erhebliche Auswirkungen zu erwarten sind und dass sich die Geschwindigkeit, in der sich Krisen über die verschiedenen o. g. Stadien entwickeln, tendenziell zunehmen. Insofern haben sich die Imponderabilien durch die Krise erhöht. Insofern sind aktuell auch in der Risikofrüherkennung die zusätzlichen Anforderungen an die Schuldentilgungsfähigkeit der Kreditnehmer und die steigenden Unsicherheiten der Ertragsseite zu berücksichtigen. 

 

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass die Aussagekraft der statischen Betrachtung von Kontokorrent-/Betriebsmittelkrediten aktuell aufgrund der o. g. Gründe an Aussagekraft verloren hat. Vielmehr sollte der Blick auf dynamische Veränderungen der Liquiditätsausstattung der Kreditnehmer (ggf. auch durch die Geschwindigkeit des Abschmelzens von Guthaben) gelegt werden. Analog der ansonsten bei Startups gebräuchlichen Cash-Burn-Rate (Geldverbrennungsrate) ist zu betrachten, wie lange die Unternehmen mit der aktuell gesicherten Liquidität auskommen. Es gilt die betroffenen Unternehmen z. B. auch im Rahmen von Branchenanalysen o. ä. rechtzeitig zu identifizieren, bevor die Kreditlinien bereits hoch ausgelastet sind und die bisher bewährten Trigger für die Risikofrüherkennung “gerissen” wurden. In der aktuellen Situation ist die Notwendigkeit zur frühzeitigen Identifizierung krisenbehafteter Kreditnehmer noch wichtiger, da durch die aktuell hohe Handlungsgeschwindigkeit der Handlungsspielraum zur Einleitung geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung der Ausfälle deutlich eingeschränkt wird.

 

PRAXISTIPPS

 

  • Stärkere Fokussierung auf die Umsatz- und Kontoentwicklung im Zeitverlauf statt auf statische Betrachtungen zum Zeitpunkt.
  • Die Betrachtung der Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen und der nachhaltigen Ertragskraft wird noch stärker an Bedeutung gewinnen.

 

 

 

 


Beitragsnummer: 9246

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