Sonntag, 12. Juli 2020

Das geplante Verbandssanktionengesetz – ein untauglicher Versuch

Dr. Christian Caracas Rechtsanwalt und Hochschuldozent.

 

Zu begrüßen ist die durch das Gesetzesvorhaben verfolgte Bestrebung, auf Straftaten, die aus Verbänden heraus begangen werden, angemessen reagieren zu können. Hierzu gehört zu Recht die Erweiterung des Sanktionsinstrumentariums, das sowohl der Art als auch der Höhe nach so divers wie flexibel beschaffen sein muss, um den konkreten Umständen des Einzelfalls gerecht zu werden und dabei zugleich dem unverzichtbaren Gegenspieler der Einzelfallgerechtigkeit, nämlich der Rechtssicherheit, hinreichend Rechnung zu tragen. Auch die gesetzliche Berücksichtigung von längst zur praktischen Unternehmenswirklichkeit gehörenden unternehmensinternen Ermittlungen – den sog. Internal Investigations – ist überfällig und jedenfalls dem Grunde nach zu befürworten. Gleiches gilt für die beabsichtigte Schaffung von gesetzlich verankerten Anreizen für Unternehmen zur Vorhaltung effektiver Compliance-Maßnahmen, da bislang weder eine ausdrückliche gesetzliche Regelung noch eine gefestigte Rechtsprechung existiert. Schließlich ist die in Abgrenzung zum Ordnungswidrigkeitengesetz geplante Einführung des Legalitätsprinzips nicht nur richtig, sondern auch dringend notwendig, um das Vertrauen in den Rechtsstaat zu wahren und dem in beachtlichen Teilen der Bevölkerung vorherrschenden Eindruck eines Zweiklassen-„Strafrechts“ Vorschub zu leisten. 

 

 

I. Einleitung[1] 

 

Das soll allerdings nicht der Kerngegenstand dieser Stellungnahme sein. Ich möchte die Analyse einen Schritt vorher ansetzen und aufzeigen, ob der eigentliche Zweck des VerSanG-E mittels seiner grundlegenden sanktionsbegründenden Norm des § 3 Abs. 1 überhaupt erreicht werden kann und ob die für seine Einführung als tragendes Fundament herangezogenen Prämissen in Bezug auf die bereits geltende Rechtslage zutreffend sind. 

 

Apodiktisch attestiert der Entwurf dem für bloßes Verwaltungsunrecht konzipierten Ordnungswidrigkeitengesetz mit seinem Verfahrensrecht insgesamt keine zeitgemäße Grundlage mehr für die Verfolgung und Ahndung kriminellen Verbandsverhaltens zu bieten und spricht ihm damit allgemein die Befähigung ab, auf Unternehmenskriminalität angemessen reagieren zu können[2]. Dies läge nicht zuletzt, aber dennoch vor allem, an der Ausgestaltung der nach aktueller Gesetzeslage für die Verbandssanktionierung einschlägigen Norm des § 30 OWiG. Diese zentrale Norm weise erhebliche Defizite auf, die es beispielsweise multinationalen Konzernen ermögliche, sich mit einem Sitz in Deutschland und dem gezielten Einsatz ausländischer Mitarbeiter ihrer Verantwortlichkeit für Straftaten im Ausland zu entziehen.

 

Das geplante VerSanG soll nun auf Basis dieser de lege lata konstatierten Mängel Abhilfe schaffen und sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam bekämpft wird und auch die vom Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen wirksam zur Verantwortung gezogen werden, indem es den Verfolgungsbehörden und Gerichten ein ausreichend scharfes und zugleich flexibles Sanktionsinstrumentarium an die Hand gäbe. Mit der Sanktionierung nicht nur der strafbar handelnden natürlichen Person, sondern auch des hinter ihr stehenden Verbandes reagiere die Rechtsordnung zugleich auf potentielle kriminogene Aspekte von Verbandsstrukturen und Verbandszugehörigkeit. Dazu gehört die vor allem in wirtschaftlich tätigen Verbänden häufig stark ausgeprägte arbeitsteilige Organisation, die zu einer Verantwortungsdiffusion führen und Straftaten von Unternehmensmitarbeitern erleichtern und begünstigen kann[3].

   

Der logisch vorrangige Zweck des VerSanG-E liegt folglich in der Gewährleistung einer – im Vergleich zu den bislang einschlägigen Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts! – verbesserten Inanspruchnahme von Verbänden, und zwar bereits auf Ebene der Sanktionsbegründung. An der Erreichung dieses Zwecks müssen sich nun die Vorschrift des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit den in § 2 VerSanG-E normierten Begriffs- und Geltungsbestimmungen messen lassen, denn mit der Erreichung dieses Zwecks steht und fällt die Relevanz der im Schrifttum bereits zahlreich diskutierten verfahrens- und sanktionszumessungsrechtlichen Folgefragen sowie der übrigen Ausgestaltung des Entwurfs.            

 

  [...]
Beitragsnummer: 9271

Weiterlesen?


Dies ist ein kostenloser Beitrag aus unserem Beitragsarchiv.

Um diese Beiträge lesen zu können, müssen Sie sich bei MeinFCH anmelden oder registrieren und danach auf Beitragsarchiv klicken.

Anmeldung/Registrierung

Wenn Sie angemeldet oder registriert sind, können Sie unter dem Menüpunkt "Beitragsarchiv" Ihre

Beiträge anschauen.

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
BGH äußert sich zum Anspruch auf „Kopie“ nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO

Sofern ein Dokument nicht von der betroffenen Person selbst stammt, besteht nach BGH-Auffassung grundsätzlich keine Verpflichtung zur Herausgabe dessen Kopie.

17.04.2024

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.