Chantal Schmitt, Stellvertretende Compliance-Beauftragte einer Sparkasse

I. Einleitung
Nachhaltigkeit gilt als der bedeutsamste Megatrend unserer Zeit und wird die 2020er bestimmen wie kein anderes gesellschafts-ökonomisches Thema[1]. Die Europäische Kommission hat bereits im ersten Quartal 2018 einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem[2] veröffentlicht, basierend auf den Zielen aus dem Pariser Klimaabkommen und der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Ziel des Aktionsplans ist es, Kapitalflüsse nachhaltig auszurichten, das Thema in den Steuerungskreislauf des Risikomanagements zu integrieren sowie mehr Transparenz für Finanzprodukte zu schaffen[3].
Zur Erreichung der o. g. Ziele sieht der Aktionsplan insgesamt zehn Maßnahmenpakete vor[4]. Eine zentrale Maßnahme, die sich aus dem Aktionsplan ergibt, und im Fokus des Beitrags steht, ist die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in der Anlageberatung. Durch diese Maßnahme sollen private Geldströme gezielt in nachhaltige Investitionen durch Berücksichtigung der Faktoren Umwelt (E – „Environment“), Soziales (S – „Social“) und Unternehmensführung (G – „Government“) umgelenkt werden. Die mit der Maßnahme einhergehenden Vorschläge der Europäischen Kommission sowie Ergänzungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) haben Auswirkungen auf die Verhaltens- und Organisationspflichten unter der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie (MiFID II). Die Veröffentlichung der europäischen Legislativakte ist aufgrund der Verzögerungen beim Erlass der Disclosure-Verordnung gegenwärtig ausstehend. Es wird mit einer verpflichtenden Anwendung in 2021 gerechnet.
Aufgrund der kurzfristig ausstehenden Veröffentlichung ist es wichtig, dass sich Banken und Sparkassen schon heute mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Anlageberatung beschäftigen. Dies betrifft einerseits die erste Verteidigungslinie im sog. 3 Lines of Defense-Modell[5], die die regulatorischen Neuerungen operativ umsetzt. Andererseits muss die Compliance-Einheit als zweite Verteidigungslinie auf das Einhalten der Neuerungen hinwirken. Eine fehlende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien kann erhebliche Compliance-Risiken bergen. Im Risikoinventar von Compliance-Funktionen findet das Risiko der Nichteinhaltung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Anlageberatung derzeit kaum Erwähnung. Mithin wird es zukünftig zur Aufgabe, dieses Risiko im Compliance-Risikomanagement-Prozess zu berücksichtigen. Die Risiken aus den Anforderungen an die Nachhaltigkeit in der Anlageberatung müssen identifiziert, bewertet und überwacht werden. Das bestehende Compliance-Programm muss letztlich „neu gedacht“ werden. Dabei wird die Compliance-Funktion Nachhaltigkeit in die Compliance-Kultur integrieren und mehr als interner Berater bzw. als Guideance-Geber bei strategischen Entscheidungen agieren müssen. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in der Anlageberatung stellt einen Game Changer für die Compliance-Einheiten in Kreditinstituten dar[6].
Der folgende Beitrag zeigt ein initiales Konzept aus Sicht der Wertpapier-Compliance auf, welches die relevanten Aspekte zur Integration der Nachhaltigkeit in die Anlageberatung auf Basis des EU-Aktionsplans berücksichtigt und effizient im Compliance-Modell abbildet. Das Modell beinhaltet konkrete Vorschläge zu den Aufgaben der Compliance-Funktion gem. BT 1.2 Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten (MaComp).
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Beitragsnummer: 9542