Mittwoch, 30. September 2020

Sensitivitätsanalysen bei der Kreditwürdigkeitsprüfung

Neue Anforderungen aus der aktuellen EBA-Kreditleitlinie zur Kreditvergabe/-überwachung.

Roland Kupka, Unternehmensberater Corporate Finance und Risikomanagement


In Abhängigkeit von dem spezifischen Geschäftsmodell jedes Kreditinstituts werden trotz der umfangreichen Überarbeitung und „Abmilderung“ der EBA-Leitlinien im Vergleich zur 2019er Konsultationsfassung erwartbar zeitliche und auch inhaltliche Herausforderungen für deren Umsetzung bestehen. Hierzu gehören neben der Verankerung der EBA-Anforderungen zur Berücksichtigung von ESG-Faktoren im Kreditgeschäft, der Auskunftstiefe und Qualität der Daten über den gesamten Kreditlebenszyklus sowie notwendigen IT-Infrastruktur auch der Aspekt der Sensitivitätsanalyse bei der Kreditwürdigkeitsprüfung. 




Sensitivitätsanalysen


Im Zuge der Prüfung der Kreditwürdigkeit und „Kreditvergabe an mittlere und große Unternehmen“ (Abschnitt 5.2.6) erwartet die EBA, dass die Institute bewerten, inwieweit der Kreditnehmer gegenwärtig und künftig in der Lage ist, die Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag zu erfüllen. Im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung sollen unter anderem die Finanzlage, die Organisationsstruktur, das Geschäftsmodell, die Strategie und auch sämtliche finanzielle Verpflichtungen des Kreditnehmers berücksichtigt werden.    

Neben der aktuellen und projizierten Finanzlage, der Kapitalstruktur, dem Nettobetriebsergebnis, der Dividendenpolitik und der Quelle der Rückzahlungsfähigkeit/Schuldendienstfähigkeit soll insbesondere auch der Free Cash Flow für den Schuldendienst der betrachteten Kreditfazilität analysiert werden. 


SEMINARTIPPS

Neue EBA-Guideline zur Kreditvergabe/-überwachung, 02.11.2020, Frankfurt/M.

Analyse der zukünftigen & nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit, 03.11.2020, Frankfurt/M.

Kredit-Jahrestagung 2020, 18.–19.11.2020, Berlin.

Umsetzung der NEUEN EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung, 12.04.2021, Berlin.

Neue EBA-Kredit-Guideline: Kapitaldienstfähigkeit im Fokus, 09.06.2021, Frankfurt/M.


Soweit dies einerseits bereits der üblichen Handhabung und Vorgehensweisen im Rahmen bankseitiger Kreditwürdigkeitsprüfungen entspricht – zumindest im Rahmen von großvolumigeren Transaktionen wie strukturierten Projekt- und Akquisitionsfinanzierungen – sollen nunmehr nach Erwartung der EBA für die besicherte und unbesicherte Kreditvergabe an Konsumenten sowie mittlere und größere Unternehmen durchgängig Sensitivitätsanalysen durchgeführt werden.


Die Analysen müssen den Einfluss potenzieller negativer Bedingungen während der Laufzeit des Darlehensvertrages auf die Tragfähigkeit der Finanzlage und somit Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers aufzeigen sowie insbesondere die Machbarkeit der künftigen Rückzahlungsfähigkeit bewerten. Bei Hereinnahme von Sicherheiten sind auch die Sicherheitenwerte in Abhängigkeit der Cashflow-Situation der Unternehmen in die Sensitivitätsanalyse mit einzubeziehen.


Kreditbezogene Ereignisse und Marktereignisse


Innerhalb der widrigen zukünftigen Bedingungen sollen die Institute von einem oder vielen Faktoren abhängige Sensitivitätsanalysen durchführen und dabei Marktereignisse und kreditbezogene Ereignisse oder eine beliebige Kombination daraus berücksichtigen. Dabei soll den Ereignissen entsprochen werden, die für die spezifischen Umstände und das Geschäftsmodell des Kreditnehmers besonders relevant sind:

Marktereignisse für mittlere und große Unternehmen gemäß der EBA-Leitlinie sind beispielsweise:

  • ein starker, aber plausibler Konjunkturabschwung,
  • ein starker, aber plausibler Rückgang der Wirtschaftsbereiche, in denen der Kreditnehmer und seine Kunden tätig sind,
  • eine wesentliche Veränderung des politischen, regulatorischen und geografischen Risikos sowie 
  • ein starker, aber plausibler Anstieg der Finanzierungskosten 

(Erhöhung des Zinssatzes um 200 Basispunkte bei allen Kreditfazilitäten des Kreditnehmers).


Kreditbezogene Ereignisse der mittleren und großen Unternehmen stellen beispielsweise

  • ein starker, aber plausibler Rückgang des Umsatzes oder der Margen des Kreditnehmers,
  • ein ernster, aber plausibler operativer Verlust,
  • das Auftreten ernster, aber plausibler Managementprobleme,
  • der Ausfall wichtiger Handelspartner Kunden oder Lieferanten,
  • ein ernstes, aber plausibles Reputationsrisiko,
  • ein starker, aber plausibler Liquiditätsabfluss oder ein erhöhter bilanzieller Verschuldungsgrad des Kreditnehmers sowie
  • eine ungünstige Entwicklung von Rohstoff- und Fremdwährungspreisen 

dar.

Fazit und Bewertung

In den vergangenen Jahren waren in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen Deutschlands – beispielsweise zuletzt in der Automobilindustrie oder auch der Industrie der Erneuerbaren Energien – gravierende Veränderungen des politischen Umfelds und auch der regulatorischen Rahmenbedingungen festzustellen, welche die Unternehmen vor teilweise enorme Herausforderungen in der zukünftigen Ausrichtung der individuellen Geschäftsmodelle stellte. Dieses teilweise „disruptive Umfeld“ in einer angemessenen und damit realistischen Geschäftsplanung abzubilden – und anschließend durch die Kreditinstitute im Rahmen von Finanzierungskonzepten auf deren wahrscheinliche Realisierbarkeit hin zu beurteilen – war bereits nicht trivial.     

Die von der EBA nunmehr weiterhin skizzierten Marktereignisse erscheinen angesichts der aktuellen Krisensituation der Covid-19-Pandemie durchaus „wegweisend“ für eine zukünftig bankseitig vorsichtige Risikobetrachtung, wenngleich die aktuell erheblichen Auswirkungen der Krise wie der weltweite Konjunkturabschwung und der drastische Rückgang der Wirtschaftsbereiche sicherlich deutlich über die bisher angedachten Konstellationen der widrigen Marktereignisse hinausgehen dürften. 

Diese „Marktaspekte“ wirken gleichfalls direkt auf die kreditbezogenen Ereignisse der Unternehmen, die in den derzeit zu beobachtenden Resultaten der Krise durchweg sämtliche vorstehenden Szenarien widerspiegeln, inklusive zuletzt zu beobachtender Management- und Reputationsprobleme in größeren börsennotierten Konzernen Deutschlands.     

Eine zukunftsorientierte Prüfung der Kapitaldienstfähigkeit stellte bisher bereits – und wird auch weiterhin – „das A und O der Kreditwürdigkeitsprüfung“ der Kreditinstitute darstellen. Die übliche und seit vielen Jahren weitläufig anzutreffende vorwiegend vergangenheitsorientierte Jahresabschlussanalyse im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung erscheint in der aktuellen Krise obsolet und wird somit über die Einbindung der Sensitivitätsanalyse auf Basis einer erstellten unternehmensseitigen Geschäftsplanung um einen sehr interessanten und überaus wichtigen Aspekt bereichert. Andererseits sind gleichzeitig auch prozesstechnisch hohe Anforderungen an die Szenarioanalysen der Institute zu stellen. 

Die von der EBA skizzierten „widrigen Bedingungen“ der Sensitivitätsanalyse erscheinen damit im Rahmen einer zumindest weitgehend plan- und berechenbaren Geschäftsentwicklung der Unternehmen durchaus gut und sinnvoll anwendbar. Allerdings erfordert die Umsetzung der Sensitivitätsanalysen im „weiten Feld des Corporate Finance“ (und damit nicht länger überwiegend etabliert in strukturierten Finanzierungen) eine Weiterentwicklung der institutsinternen Analyseansätze und Vorgehensweisen. Diese sind unter Berücksichtigung des individuellen Geschäftsmodells der Kreditnehmer und der verschiedenen zu beurteilenden „business-cases“ auf die Praxistauglichkeit und -anwendung hin zu beurteilen. 

Der Verfasser ist daher der Ansicht, dass nach einer (hoffentlich baldigen) Stabilisierung des wirtschaftlichen Umfelds und damit auch der Geschäftsentwicklung der Unternehmen eine stärkere Einbindung der Sensitivitätsanalyse in die institutsinternen Kreditentscheidungsprozesse einen sinnvollen Ansatz zur Bewertung der Tragfähigkeit der Finanzlage und Kapitaldienstfähigkeit der Unternehmen darstellt. Dies unter der Voraussetzung, dass das Gesamtumfeld der Unternehmen eine realistische Geschäftsplanung ermöglicht und die für die Sensitivitätsanalyse gewählten Markt- und kreditbezogenen Ereignisse für das jeweilige Geschäftsmodell des Kreditnehmers und dessen spezifische Umstände angemessen erscheinen.

Andererseits werden die Grenzen des sinnvollen Einsatzes der Sensitivitätsanalysen in der aktuellen Krisensituation gleichfalls offensichtlich. Wenn überhaupt, wären sicherlich lediglich wenige vorstellbare Szenarien der jüngeren Vergangenheit in der Lage gewesen, die aktuelle Krisensituation im Rahmen von definierten widrigen Bewertungsmaßstäben auch nur ansatzweise abzubilden. 

Eine sinnvoll durchzuführende und im Ergebnis aussagekräftige Sensitivitätsanalyse und damit die erforderliche Zukunftsorientierung der Kapitaldienstfähigkeit bedarf somit einer vorherigen guten Unternehmensplanung – und letztere erscheint in vielen Industriesegmenten derzeit so schwierig wie noch nie.

Praxistipps:

  • Nutzen Sie die (wenn auch nicht technologiebedingte so doch gravierend vorhandene) aktuelle „Disruption“ für eine Neujustierung der institutseigenen internen Analysenansätze – von der eher vergangenheitsorientierten Betrachtungsweise und dem Versuch der Fortschreibung einer bekannten Entwicklung, hin zu einer weitgehend auf Planungsszenarien beruhenden Geschäftsprognose. Die Erkenntnis, dass die zukünftige Ertragskraft und damit der „Free Cash Flow“ Ihrer Firmenkunden die Kapitaldienstfähigkeit bestimmt, war bisher bereits wichtig und wird auch weiterhin den richtigen zukünftigen Analyseschwerpunkt bestimmen. 
  • Definieren Sie für die zukünftigen Sensitivitätsanalysen Markt- und kreditbezogenen Ereignisse, die für das jeweilige Geschäftsmodell der Kreditnehmer und dessen spezifische Umstände angemessen erscheinen.

 

  • Empfehlenswert erscheint für die Anwendung der Sensitivitätsanalyse in der Breite des „Corporate Finance“ und eine zu erreichende schnelle Verbreitung dieser Vorgehensweise als das zukünftig „natürliche Analysevorgehen“, die zügige Etablierung und Anwendung interner Analysetools, die einen überschaubaren Erfassungsaufwand sowie eine geringe Komplexität und gleichwohl sehr gute Analyseerkenntnisse aus der Verknüpfung der Beurteilungsfelder „Bilanz, G+V sowie Cashflow-Planung“ ergeben. Je eher dieser Bewertungsansatz in den regelmäßigen Risikoanalysen Berücksichtigung findet, desto schneller bildet sich hieraus der zukünftige „Analysestandard“.

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Beitragsnummer: 10742

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