Mittwoch, 18. November 2020

Das vergessene Sparbuch

Urteil des AG Frankfurt v. 23.12.2019, 29 C 4021/19 (46).

Max Kirschhöfer, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

 

Sie geraten heute buchstäblich in Vergessenheit: Sparbücher aus Papier. Viele von Ihnen werden sich noch daran erinnern, dass Sie in Ihrer Kindheit von Eltern oder Großeltern ein Sparbuch geschenkt bekamen. Vielleicht denken Sie gerade in dieser Sekunde daran, ob nicht irgendwo auf dem Dachboden ein längst vergessenes Sparbuch zu finden ist – bei den heute niedrigen Zinsen kann das durchaus interessant sein. So – oder ähnlich – passiert es jedenfalls immer wieder. Der Kunde bzw. Besitzer eines Sparbuchs erscheint dann in der nächstgelegenen Filiale und begehrt die Auszahlung des (vermeintlichen) Guthabens. Wird das gesamte Guthaben ausgezahlt oder – wie im Fall des AG Frankfurt – von einem Sparbuch auf ein anderes Sparbuch umgebucht, sollte eigentlich die Auszahlung/Umbuchung im Sparbuch vermerkt und selbiges eingezogen oder in der Regel durch „Lochen“ entwertet werden. Aus Gründen, die im Nachhinein nicht nachvollzogen werden können, wurde dieses Procedere indessen nicht in allen Fällen eingehalten. Der Kunde bzw. Besitzer des Sparbuchs (die Kinder/Erben) des eigentlichen Kunden stehen dann – nachdem das Sparbuch ein „zweites Mal“ gefunden wurde – abermals in der Filiale und begehren die Auszahlung des erhofften Sparguthabens, lange nachdem die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind. 

 

BUCHTIPP

Kontoführung & Zahlungsverkehr 5. Aufl. 2017.

 

In dem Fall, der dem Urteil des AG Frankfurt vom 23.12.2020 zugrunde lag, stand folgendes unstreitig fest: Das streitbefangene Sparbuch war gelocht. Die Klägerin, welche bereits über ein weiteres Sparbuch verfügte, hatte im November 2002 unter Einzahlung eines Betrages von € 750,00 hierauf das zweite streitgegenständliche Sparbuch eröffnet. Im Dezember 2008 erschien die Klägerin in der Filiale der Beklagten und ließ sich auf dem nicht streitgegenständlichen früheren Sparbuch einen Betrag i. H. v. € 775,32 als „Gutschrift“ eintragen. Im Jahr 2019, also über zehn Jahre später, erschien die Klägerin erneut bei der Beklagten und wollte sich das auf dem streitgegenständlichen, jedoch gelochten Sparbuch liegende Guthaben in Höhe von € 750,00 zzgl. Zinsen auszahlen lassen. Da die zehnjährige Aufbewahrungsfrist für verschiedene, die Auszahlung belegende Unterlagen abgelaufen war, konnte die Bank anhand von Belegen die Auszahlung nicht mehr darlegen und es kam zum streitigen Verfahren. In solchen oder ähnlich gelagerten Fällen muss die Bank dann anhand anderer und sich von Fall zu Fall unterscheidender Umstände darlegen und beweisen, dass das vormals auf einem Sparbuch verbuchte Guthaben ausbezahlt wurde. 

 

SEMINARTIPP

Aktuelle Praxisprobleme in Kontoführung & Zahlungsverkehr, 04.11.2021, Zoom.

 

Im vorliegenden Fall gelang dies zunächst dadurch, dass die Bank substantiiert darlegen konnte, dass sich der auf das „zweite“ Sparbuch gebuchte Betrag i. H. v. € 775,32 aus dem ursprünglichen Einzahlungsbetrag und den addierten Zinsbeträgen zusammensetzte. Denn in einer solchen Situation spreche bereits der Beweis des ersten Anscheins für eine Übertragung des vollständigen Sparguthabens von dem streitgegenständlichen auf das „zweite“ Sparbuch. Insbesondere für den Umstand, dass die unstreitig vorgenommene Buchung als „Gutschrift“ festgehalten und nicht anders bezeichnet wurde, spreche bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung für den Vortrag der Beklagten, dass das Guthaben lediglich von einem Sparbuch auf ein anderes umgebucht wurde. Auch der Umstand, dass das streitgegenständliche Sparbuch unstreitig gelocht wurde, stelle nach Ansicht des Amtsgerichts Frankfurt ein gegen die Klägerin sprechendes Indiz dar. Die streitige Behauptung der Klägerin, diese habe das Sparbuch selbst gelocht, um das Sparbuch besser aufbewahren zu können, hielt das Amtsgericht für fernliegend. In diesem Zusammenhang führte das Amtsgericht aus, dass allgemein bekannt sei, dass ein gelochtes Sparbuch keine Gültigkeit im Rechtsverkehr mehr habe, weswegen man „tunlichst Abstand von jedweder Beschädigung eines Sparbuchs zu nehmen“ und insbesondere ein Sparbuch nicht zu lochen habe. Selbst wenn dies der Klägerin nicht bekannt gewesen sein sollte, so das Amtsgericht weiter, hätte diese durch eine einfache Internetabfrage herausfinden können, dass ein Sparbuch durch dessen Lochung entwertet wird. 

 

PRAXISTIPP:

 

Die aus dem Dezember 2019 stammende Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt wurde von der hessischen Justiz zu Recht als „Entscheidung des Monats“ (des Monats September 2020) gekürt. Das Amtsgericht würdigt sehr schön den Parteivortrag und kommt zu dem Ergebnis, dass am Ende des Tages der Klage nicht stattzugeben war, was das Amtsgericht noch mit dem Hinweis versehen hat, dass für die richterliche Überzeugung keine letzte Gewissheit erforderlich ist, sondern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, die vernünftigen Zweifel schweigen gebietet, völlig ausreicht, um eine Entscheidung zu treffen. In vergleichbaren „Sparbuch-Fällen“ ist daher im Falle eines Rechtsstreits anzuraten, jegliche Indizien, die für eine Auszahlung sprechen, dem Gericht ausführlich darzulegen. Aber auch im Vorfeld eines streitigen Verfahrens bietet es sich an, dem Kunden in einem persönlichen Gespräch anhand bestehender Indizien aufzuzeigen, dass das Sparguthaben längst ausgezahlt wurde und dies seiner Erinnerung wohl entfallen ist.


Beitragsnummer: 13986

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