Mittwoch, 13. Januar 2021

Fehlerhafte Widerrufsinformation bei Allgemein-Verbraucherdarlehen

Fehlerhafte Widerrufsinformation bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen wegen Kaskadenverweis und Gesetzlichkeitsfiktion.

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

    

In seiner, einen PKW-Finanzierungsfall betreffenden Entscheidung vom 10.11.2020, Az. XI ZR 426/19, hält der Bundesgerichtshof fest, dass er im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 26.03.2020, Az. C-66/19 (WM 2020, 688) bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen an seiner früheren Rechtsprechung nicht mehr festhält, wonach der sog. „Kaskadenverweis“ (Verweisung auf alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB) klar und verständlich i. S. v. Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB in der Fassung vom 11.06.2010-20.03.2016 sei mit der weiteren Folge, dass die im konkreten Fall dem Darlehensnehmer erteilte Widerrufsinformation als fehlerhaft anzusehen ist (Rn. 17). 

 

Nachdem die streitgegenständliche Widerrufsinformation vom Bundesgerichtshof als fehlerhaft angesehen wurde, ging der Bundesgerichtshof der Anschlussfrage nach, ob das finanzierende Kreditinstitut sich zumindest auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. berufen könne. Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass die verwendete Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB a.F. entspricht (Rn. 18). Diesbezüglich hält der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf Rn. 27 seiner Entscheidung vom 11.10.2016, Az. XI ZR 482/15 (NJW 2017, 243 = WM 2016, 2295) fest, dass das finanzierende Kreditinstitut sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne. Dies deshalb, weil in der Widerrufsinformation entgegen den bei einem mit einem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nach § 358 BGB anwendbaren Gestaltungshinweisen 2 und 6 die beiden zwingend vorgeschriebenen Unterüberschriften „Besonderheiten bei weiteren Verträgen“ sowie die nach Gestaltungshinweis 6g zwingend vorgeschriebene Überschrift „Einwendungen bei verbundenen Verträgen“ nicht enthalten sind (Rn. 19).

 

Ungeachtet dessen gelangt der Bundesgerichtshof zum Ergebnis, dass die Klage des Darlehensnehmers „jedenfalls derzeit unbegründet“ ist. Dies deshalb, weil sich der Darlehensgeber gegenüber dem Anspruch des Darlehensnehmers auf Rückgewähr der von ihm an den Darlehensgeber geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen sowie einer an den Autohändler geleisteten Anzahlung auf ein Leistungsverweigerungsrecht solange berufen könne, bis er das finanzierte Fahrzeug erhalten oder der Darlehensnehmer den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat, was beides im konkreten Fall nicht geschehen war (Rn. 21). 

 

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Schließlich weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass aus der Abweisung des Rückgewähranspruchs als derzeit unbegründet lediglich in Rechtskraft erwächst, dass der Darlehensnehmer gegen den Darlehensgeber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keinen zur Zahlung fälligen Anspruch hatte, nicht dagegen, dass der Darlehensgeber einem solchen Anspruch nicht weitere Einreden und Einwendungen entgegenhalten kann (Rn. 22 u.H.a. BGH, WM 2020, 2321, juris Rn. 27).

 

PRAXISTIPP:

 

Was den sog. Kaskadenverweis anbelangt, so stand nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher nur fest, dass die Entscheidung des EuGH vom 26.03.2020 (a.a.O.) keinerlei Auswirkungen sowohl auf grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen innerhalb und außerhalb der Gesetzlichkeitsfiktion als auch auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge innerhalb der Gesetzlichkeitsfiktion hat (vgl. hierzu Hölldampf, WM 2020, 907 ff.; sowie Knoll/Nordholtz, NJW 2020, 1407 ff.). Unklar war somit (nur) noch, ob der Bundesgerichtshof bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen, bei welchen die Gesetzlichkeitsfiktion nicht greift, im Hinblick auf die Vorgaben des EuGH in seiner Entscheidung vom 26.03.2020 (a.a.O.) den dort nach wie vor vorhandenen Kaskadenverweis wegen Verstoß gegen europäisches Recht als fehlerhaft ansehen würde, was von einem Großteil der Literatur als relativ unwahrscheinlich angesehen wurde. Dies deshalb, weil der deutsche Gesetzgeber nicht nur den Kaskadenverweis selbst in die Musterwiderrufsinformation aufgenommen, sondern darüber hinaus auch in der Gesetzesbegründung selbst ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die von ihm in die Musterwiderrufsinformation aufgenommenen Formulierungen der deutschen Gesetzeslage gerecht werden, was auch für den Kaskadenverweis sowie für die lediglich beispielhafte Nennung von drei ausgewählten Pflichtangaben gilt (vgl. hierzu Hölldampf, WM 2020, 907, 908 u. 910; Knoll/Nordholtz, NJW 2020, 1407, 1409 ff.).

 

Ungeachtet dessen hat der Bundesgerichtshof im Hinblick auf den offenen Wortlaut der Normen des § 492 Abs. 2 BGB sowie des Art. 247 § 6 EGBGB festgehalten, dass der vom deutschen Gesetzgeber willentlich in die Musterwiderrufsinformation aufgenommene Kaskadenverweis fehlerhaft ist, weil die in der Musterwiderrufsinformation enthaltene Kaskadenverweisung nach der EuGH-Entscheidung vom 26.03.2020 (a.a.O.) nicht mehr als klar und verständlich i. S. d. EU-Richtlinie angesehen werden könne. 

 

Auch wenn sich der Bundesgerichtshof bei seiner dahingehend in Rn. 17 vertretenen Rechtsauffassung nicht mit den in der Literatur vorgetragenen Gegenargumenten auseinandergesetzt hat, was vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Tragweite seiner Entscheidung für solche der Gesetzlichkeitsfiktion nicht unterfallenden Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge (vgl. hierzu Knoll/Nordholtz, NJW 2020, 1407, 1410) sehr verwunderlich ist, wird man davon ausgehen müssen, dass der XI-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seine dahingehende Rechtsprechung nicht mehr abändern wird, weswegen es zukünftig bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen, welche der Gesetzlichkeitsfiktion nicht unterfallen, wieder auf die schon früher diskutierte Frage ankommen wird, ob es sich bei den von den Kreditinstituten vorgenommenen „Eingriffen“ in die Musterwiderrufsinformation um beachtliche (dann keine Gesetzlichkeitsfiktion) oder um unbeachtliche Änderungen (dann Gesetzlichkeitsfiktion) handelt, was wiederum der Bundesgerichtshof nach eigenem Ermessen entscheiden kann und wird.

 


Beitragsnummer: 15019

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