Mittwoch, 17. November 2021

Der „Grüne Schwan“ der Finanzwelt

Klimarisiken aus Sicht der Bankenaufsicht

Joachim Weeber, Sachgebietsleiter im Bereich Banken und Finanzaufsicht der Deutschen Bundesbank

Seit der Veröffentlichung des Buches „The Black Swan“ von Nassim N. Taleb gilt der Schwan als Sinnbild für zukünftige Ereignisse mit erheblichen Auswirkungen. Während ein Black Swan als Ausreißer mit enormen Auswirkungen gilt, dessen Auftreten im Rückblick aber erklärbar ist, bezeichnet die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich einen Green Swan als ein extrem schädliches Ereignis, als Ausdruck einer radikalen Ungewissheit mit nicht mehr klassisch berechenbaren Risiken, das die nächste systemische Finanzkrise auslösen kann. Für die Bankenaufsicht ist dies deshalb Anlass genug, sich seit wenigen Jahren mit den Risiken des Klimawandels für die Bankenlandschaft intensiv zu befassen.

Auf der jüngsten UN-Klimakonferenz in Glasgow wurden zwar Beschlüsse etwa zum Kohleausstieg oder zum finanziellen Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gefasst, Klimaaktivisten gehen die dortigen Beschlüsse allerdings nicht weit genug. Selbst wenn es gelingt, den Anstieg des Kohlendioxidausstoßes durch die bisher beschlossenen Maßnahmen in einem Maße zu verringern, um die angestrebten Pariser Klimaschutzziele zu erreichen (was relativ unwahrscheinlich scheint), ist von politischer Seite die Transformation unserer bisherigen Industriegesellschaft in eine Gesellschaft der Klimaneutralität (Net Zero Carbon Emissions) angestoßen und dürfte sich nicht aufhalten lassen.

Mit diesem gesellschaftlich veränderten Umfeld haben sich auch Unternehmen des Finanzmarktes mit den daraus erwachsenden Herausforderungen zu beschäftigen. Dies gilt zum einen hinsichtlich möglicher zusätzlicher Ertragschancen durch neue „Green“-Produkte, zum anderen resultieren aus dem Klimawandel aber auch zusätzliche Risiken aus der notwendigen Transformationsfinanzierung. Dabei sind folgende Risikokategorien zu unterscheiden: 

Physische Risiken: Direkte physikalische Einflüsse auf ökonomische Wertschöpfungsketten durch Extremereignisse (z. B. Schäden an Gebäuden, Produktionsanlagen); Veränderung der Klimabedingungen (Auswirkungen veränderter Niederschlagsmuster und Trockenheitsphasen auf die Landwirtschaft, die Veränderung der Schneebedingungen im Wintertourismus oder die Zunahme von Wirbelstürmen). So haben sich nach Analysen des Rückversicherers Munich Re die weltweiten Verluste durch extreme Wetterereignisse 2020 im Vergleich zum Vorjahr um über 26 % erhöht. Das Eintreten solcher Risiken ist vor allem für die Versicherungswirtschaft relevant, da es hier vor allem um Haftungsfragen geht. Daher werden die finanziellen Auswirkungen von Extremereignissen von der Versicherungswirtschaft bereits seit Jahren quantifiziert, wobei hier eine Trennung zwischen kurzfristigen Wettereignissen und langfristigen Klimaveränderungen deutlich erschwert ist. Ein klimabedingtes höheres Haftungsrisiko für Versicherungen lassen sich diese allerdings durch höhere Versicherungsprämien „vergüten“. Somit dürften hieraus für die Versicherungswirtschaft isoliert betrachtet kaum zusätzliche finanzielle Risiken erwachsen. Für Banken wurden die physischen Risiken aus solchen Ereignissen bisher eher als unbedeutend eingeschätzt. Aber die Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal und anderen deutschen Regionen hat gezeigt, dass selbst in vor Naturkatastrophen vermeintlich sicheren Regionen, die Kreditwirtschaft von Kreditausfällen betroffen sein kann. Hinzu kommen mögliche operationelle Risiken etwa aus Schließungen von Bankfilialen. Zu den physischen Risiken zählen auch Länderrisiken wie im Falle von Grenada als es 2004 zu einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes und damit seiner Staatsanleihen durch die Ratingagentur Standard & Poor‘s im Zuge der Schäden durch den Hurrikan Ivan kam oder auch für Neuseeland im Zuge der Erdbeben 2010 und 2011 (Herabstufung durch die Ratingagenturen Standard & Poor´s und Fitch von AAA nach AA+).

Transitionsrisiken: Risiken, die durch den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft entstehen und zu einer Neubewertung von Anlagen führen. So würde z. B. eine geringere Nachfrage nach Strom aus Kohlekraftwerken zu Abschreibungen auf Investitionen in Kohlekraftwerken führen. Neben solch eher direkten Transitionseffekten dürften in der Risikoabschätzung für Banken aber eher Abwertungen von Finanzanlagen die größere Bedeutung haben. Klimaveränderungen können so etwa zu Neubewertungen von Aktien, Unternehmensanleihen oder Investmentfonds führen. Zudem könnte es zu Übertragungseffekten zwischen Banken im Zuge bestehender Interbankenverbindlichkeiten/-forderungen kommen. Welche Konsequenzen die bestehende Vernetzung des Bankenmarktes haben kann, haben die Ereignisse im Zuge der Finanzkrise 2008 gezeigt.

Politische Risiken: Risiken, direkter politischer Einflüsse, die zu einer allgemeinen Änderung der Klimapolitik der Regierung führen können – wie etwa bei der Energiewende geschehen. Die Auswirkungen solcher politischen Einflussnahme können erheblich sein – prominentes Beispiel in der Vergangenheit war etwa das Verbot des Verkaufs „klassischer“ Glühbirnen (schrittweise) seit 2010 zugunsten von Energiesparlampen. Hier hat es also eine Verschiebung innerhalb eines Wirtschaftsbereiches hin zu innovativerer Technik gegeben. Die Einführung einer generellen Besteuerung des CO2-Ausstoßes etwa trifft dagegen ganze Wirtschaftszweige. Kohle- oder ölfördernde oder -verarbeitende Unternehmen, deren finanzierende Banken Besitzer entsprechender Aktien oder Anleihen sind, sind von dieser grundlegenden Entscheidung besonders betroffen. Dies gilt auch für Unternehmen des Verkehrssektors und angrenzender Wirtschaftszweige.

Dieses veränderte Risikoumfeld zieht Konsequenzen der Aufsichtsbehörden nach sich. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte z. B. Ende 2019 (letzter Stand: 01.10.2021) ein Merkblatt u. a. zum Umgang mit Klimarisiken für Finanzmarktakteure in Deutschland veröffentlicht. Inzwischen sollten die zahlreichen Aktivitäten von internationalen und nationalen Aufsichtsbehörden die Dringlichkeit zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeits- und vor allem von Klimarisiken verdeutlicht haben. So adressierte die BaFin Anfang April 2021 eine Umfrage über die Sachstandserhebung zur Umsetzung des BaFin Merkblatts durch die deutsche Finanzwirtschaft und damit auch durch die Bankenlandschaft. Trotz methodischer Schwächen zeigen die Ergebnisse dieser Umfrage Mängel der Institute etwa im Bereich des Risikomanagements oder auch bei den Methoden zur Identifikation und Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken auf. Dies gilt auch für neun von zehn Banken auf europäischer Ebene, wie der stellvertretender Vorsitzende des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank (EZB), Frank Elderson, Mitte 2021 bei einer Rede in Frankfurt a. M. betonte. 

Damit rücken auch auf internationaler Ebene diese Risiken immer mehr in den Fokus der Bankenaufsicht. So hat die für die Harmonisierung des EU-Aufsichtsrechts zuständige Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) in ihrem Bericht „on management and supervision of ESG risks“ klargestellt, dass sich Banken auch mit Klimarisiken zu beschäftigen haben. Und die für die bedeutenden Banken der Eurozone zuständige EZB dürfte in dem für 2022 angekündigten Klima-Stresstest die Widerstandsfähigkeit der für sie zuständigen Banken beim Eintreten der o. g. Klimarisiken testen. Den Rahmen zukünftiger aufsichtlicher Anforderungen für die europäischen Banken hat schließlich die EBA in ihrem Mitte 2021 publizierten Bericht zu den Auswirkungen von ESG-Risiken (Environmental, Social and Governance) auf Kreditinstitute gesetzt und auf die Auswirkungen solcher Einflüsse auf zentrale Risikoparameter von Kreditvergaben, wie Ausfallwahrscheinlichkeit und Verlusthöhe hingewiesen.

Ausgehend hiervon, dürften die Klimarisiken hinsichtlich Adressenausfallrisiken (einschließlich Länderrisiken), Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken (besonders Reputationsrisiken) im Vergleich zu bestehenden Risiken nicht als eigenständige Risikoart behandelt werden. Gleichwohl stellen sich hinsichtlich des Mangels an aussagkräftigen Daten und der langen Zeitspanne, in der sich Klimaveränderungen vollziehen, neue Herausforderungen an das Risikomanagement. Schließlich ist die Verwendung historischer Datensätze, wie sie beim Risikomanagement üblicherweise verwendet werden, um Kreditrisiken abzuschätzen, in diesem Falle wenig sinnvoll. Hinzu kommt das Risiko, das sich aus Ad hoc-Änderungen der Rahmenbedingungen ergeben kann, sollte sich aus politischen Gründen die Geschwindigkeit zur Dekarbonisierung unserer Industriegesellschaft beschleunigen – wie es etwa im Rahmen der deutschen Energiepolitik nach der Fukushima Katastrophe festzustellen war.

Grundlage für die Identifizierung, Beurteilung, Steuerung, Überwachung sowie Kommunikation auch klimabezogener Risiken werden die bestehenden Risikomanagementprozesse bieten. Dies gilt für Kreditvergabestandards, die Einführung interner Klimareports für das Risikomanagement oder auch von Rechenschaftsberichten hinsichtlich entsprechender Risiken. Hierzu gehört auch die Identifikation bestehender (Klima)Klumpenrisiken hinsichtlich Kreditvergaben in Regionen und Wirtschaftszweigen. Das Risikomanagement unterstützt die Geschäftsleitung durch Analysen hinsichtlich der bestehenden Klimarisiken und trägt damit entscheidend zur Überprüfung der Bestandsfestigkeit des bestehenden Geschäftsmodells bei. Für Banken folgt daraus eine kritische Bestandsaufnahme der bereits bestehenden Kreditvergaben etwa an emissionsintensive Firmen oder von Wertpapierengagements – auch in Staaten, die vom Auftreten physischer oder transitorischer Risiken besonders betroffen sein können. Eine regelmäßige Überprüfung der Belastbarkeit des Geschäftsmodells auch bei Veränderungen z. B. der klimapolitischen Rahmenbedingungen gehört ebenfalls dazu. Disruptionen von Geschäftsmodellen und somit das Risiko massiver Kreditausfälle sind im Zuge der Transformation in eine Low oder Net Zero Carbon Gesellschaft wahrscheinlich.

Für die Aufsichtsbehörden stellt sich die Frage, inwieweit und in welcher Form eine unzureichende Berücksichtigung solcher Risiken aufsichtlich zu bewerten sein wird. Die Ergebnisse des Klima-Stresstests der EZB und die daraus evtl. resultierenden Maßnahmen werden einen ersten Hinweis auf die regulatorische Behandlung vernachlässigter Klimarisiken bei Banken liefern. So hat die EBA im Rahmen ihrer Tätigkeit zu prüfen, ob für Vermögenswerte, die für Tätigkeiten verwendet werden, die im Wesentlichen u. a. mit ökologischen Zielen verbunden sind, eine spezielle Behandlung gerechtfertigt wäre. Schlussendlich könnten die regulatorischen Anforderungen für Banken in höhere Kapitalanforderungen münden, falls die Erwartungen der Aufsichtsbehörden hinsichtlich der Behandlung von Klimarisiken nicht erfüllt werden. Eine bedeutende Rolle von Klimarisiken in der europäischen und damit auch deutschen Bankenregulierung ist damit unausweichlich. Der Green Swan hat damit bereits jetzt ganz praktische Konsequenzen für die Kreditinstitute.

PRAXISTIPPS

  • Überprüfung des eigenen Geschäftsmodells hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit des Auftretens klimabezogener Risiken; im Wesentlichen durch die Überprüfung des bestehenden Kreditportfolios und durch die Erstellung adäquater Szenarioanalysen bzw. eigener Stresstests (Transitions- und Auswirkungsszenarien).
  • Evaluierung des bestehenden Risikomanagements hinsichtlich der Einbindung von Klimarisiken in Reports und Berichten; ggf. Erstellung eigenständiger Berichte zu Nachhaltigkeitsrisiken (Nachhaltigkeitsberichterstattung).
  • Sensibilisierung der verschiedenen Mitarbeiterebenen von Markt und Marktfolge hinsichtlich klimarelevanter Aspekte, auch durch Angebote der Aus- und Fortbildung zu Nachhaltigkeitsaspekten. Die BaFin verweist in ihrem Merkblatt explizit auf die Verantwortung der Geschäftsleitung für klimarelevante Fragestellungen, ggf. Unterstützung durch eine spezielle Nachhaltigkeitseinheit.

Beitragsnummer: 19419

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