Dienstag, 30. Juni 2020

Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft

Greenwashing oder Gamechanger?

Ass. iur. Kevin D. Bröde, Nachhaltigkeitsmanager und Vorstandsreferent im Vorstandsstab der Förde Sparkasse

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ gewinnt im Finanzsektor spürbar an Bedeutung: Ist das nur PR oder der Beitrag der Finanzindustrie zur Transformation unseres Wirtschaftssystems in eine ressourcenschonende Zukunft?



 

Nachhaltigkeit ist der gesellschaftliche und politische Megatrend unserer Zeit

 

Ökologischen Ereignissen wie den Geschehnissen um den Hambacher Forst, den massiven Regenwaldrodungen im Amazonas oder den verheerenden Waldbränden in Australien kommen mittlerweile hohe gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit zu. Die Häufung der Wetterextremereignisse führen mittlerweile auch in Deutschland zu erheblichen Schäden. Während in den 1980er Jahren Akteure der Umweltbewegung noch als Randerscheinung auftraten, gelten Klimaschutzaktivisten der Fridays for Future-Bewegung wie Greta Thunberg als Ikonen ihrer Generation. Soziale und ökologische Themen prägen den gesellschaftlichen Diskurs.

 

Parallel hierzu gibt es zahlreiche politische Impulse für mehr Nachhaltigkeit. Deutschland hat sich international zur Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen verpflichtet. Parallel wurde die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie im Jahre 2016 neu gefasst. 2019 wurde von der Europäischen Kommission der Grüne Deal der EU vorgestellt. Die EU hat sich im Europäischen Klimagesetz bis 2050 zur Treibhausgasneutralität verpflichtet. Sieben der zehn bedeutendsten Risiken für die kommende Dekade sind laut Weltwirtschaftsforum Nachhaltigkeitsrisiken. Auch die BaFin hat mit ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken klare Signale gesetzt und Nachhaltigkeit zu einem ihrer wesentlichen Prüfungsschwerpunkte auserkoren.

 

Nachhaltige Finanzwirtschaft als Schlüssel zur Transformation

 

Die Corona-Krise hat erneut offengelegt, dass widerstandsfähige Wirtschaftsstrukturen erforderlich sind, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein. Im Fokus der europäischen Politik steht daher vor allem der Übergang zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft. Das derzeitige Investitionsniveau reicht jedoch bei Weitem nicht aus, um ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftssystem zu erreichen. Um die EU-Klimaziele bis 2030 zu verwirklichen, muss Europa einen jährlichen Investitionsrückstand von fast 180 Mrd. EUR aufholen. Es ist offenkundig, dass allein staatliches Kapital hierfür nicht ausreichen wird. Die EU sieht in der Finanzbranche den wesentlichen Hebel zur Finanzierung des Transformationsprozesses und hat daher einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums verabschiedet. Ein „nachhaltiges Finanzwesen“ erfordert die Berücksichtigung umweltbezogener und sozialer Erwägungen bei Investitionsentscheidungen und soll zu einem Umlenken von Kapitalströmen in längerfristige und nachhaltige Aktivitäten führen. Hierfür sind bereits weitreichende Gesetzesinitiativen abgeschlossen bzw. auf den Weg gebracht worden. Beispiele hierfür sind eine gesetzliche Definition von nachhaltigen Investments, die Einbeziehung von Nachhaltigkeit in das Risikomanagement und die Aufsichtsvorschriften. Zudem sorgen die Pflicht zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitspräferenzen in der Finanzberatung sowie Standards und Labels bei „grünen“ Finanzprodukten für weitreichende Veränderungen im Kerngeschäft von Kreditinstituten.

 

SEMINARTIPPS

Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch die Interne Revision, 02.12.2020, Frankfurt/M.

Prüfung Forbearance-Prozesse & Engagement-Maßnahmen, 08.12.2020, Frankfurt/M.

 

Nachhaltigkeit als Gamechanger für die Finanzwirtschaft?

 

Aber muss sich die Finanzwirtschaft von stetiger (Nachhaltigkeits-)Regulatorik treiben lassen oder sollte sie ihren eigenen Weg finden? Fest steht, dass die Geschäftsmodelle deutscher Kreditinstitute unter starkem Druck stehen. Die demografische Entwicklung macht signifikante Anpassungen der Produkte und der Kundenansprache erforderlich. Der Fachkräftemangel hat einen Wettbewerb um Mitarbeiterkapazitäten ausgelöst. Digitale Technologien, mobile Kommunikationsformen und soziale Netzwerke verändern das Kundenverhalten und entfachen einen neuen Kampf um Marktanteile. Das Niedrigzinsumfeld belastet weiterhin die Ertragslage deutscher Kreditinstitute und erfordern mehr denn je neue Ertragsquellen. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen Inlands- und Auslandsbanken. FinTechs, Marktinfrastrukturanbieter und globale Technologiekonzerne drängen in den Markt.

 

In Zeiten austauschbarer Geschäftsmodelle und Dienstleistungen kann Nachhaltigkeit ein Abgrenzungskriterium für jedes Institut sein. Zahlreiche Studien belegen, dass sich Fachkräfte davon leiten lassen, wie nachhaltig ein Arbeitgeber agiert. Die Übernahme von unternehmerischer Verantwortung ermöglicht es insbesondere Sparkassen, ihren öffentlichen Auftrag modern zu erfüllen und einen echten Mehrwert für ihr Geschäftsgebiet zu leisten. In einer Zeit, in der Kreditinstituten mit einer gewissen Grundskepsis begegnet wird, bietet eine „Good Governance“ die Möglichkeit, Vertrauensverluste zu verhindern und die „Licence to operate“ wieder zu erlangen. 

 

Der Markt für nachhaltige Geldanlagen erfährt in den letzten Jahren einen nie dagewesenen Boom. Nachhaltige Fonds und Mandate erreichten laut Forum Nachhaltige Geldanlage im Jahr 2018 in Deutschland ihr größtes Wachstum und legten von 41 auf 219 Milliarden Euro zu. Der Anteil der Kunden, die von einem modernen Finanzdienstleister ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell mit entsprechenden Produkten und Dienstleistungen sowie ressourcenschonenden Geschäftsbetrieb erwarten, nimmt spürbar zu. Der eingangs beschriebene erforderliche Transformationsprozess macht die Kreditierung aller Bereiche menschlichen Lebens erforderlich. Umfassendes Know-how im Bereich von grünen Kreditvorhaben wird zu einem echten Wettbewerbsvorteil in der Kreditwirtschaft. Transformationsvorhaben werden regelmäßig vor Ort realisiert. Insbesondere lokal ansässige Institute können sich mit ihrer Kundennähe somit positiv von überregionalen Anbietern abgrenzen und ihre Stärken ausspielen.

 

Wir stehen vor einer umfassenden Transformation unseres Wirtschaftssystems. Klimaschutz und Energiewende sind Konjunkturmotoren. Es entstehen neue Marktzugänge und Wertschöpfungsketten. Wer sich hier nicht strategisch und ganzheitlich aufstellt, gerät nicht nur regulatorisch und gesellschaftlich unter Druck. Er versäumt es, entsprechende Risiken zu managen und verpasst die Marktchancen von heute und morgen. Nachhaltigkeit wird zum Gamechanger.

 

PRAXISTIPPS

  • Begreifen Sie „Sustainable Finance“ als Chance, das eigene Haus zukunftsfit zu machen.
  • Nachhaltigkeit ist nur als strategisches Gesamtsystem bis ins Kerngeschäft sinnvoll.
  • Implementieren Sie ein systemisches Nachhaltigkeitsmanagement.

Beitragsnummer: 6478

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