Donnerstag, 6. Juni 2019

„Widerrufsjoker“ bei fehlerhafter Effektivzinsangabe

Unterschiedliche obergerichtliche Rechtsprechung

Peter Freckmann, Rechtsanwalt und Syndikusrechtsanwalt, Vellberg/Schwäbisch Hall

Das OLG Köln hat in seinem Urt. v. 26.03.2019, AZ. 4 U 102/18, einem Verbraucher eine Widerrufsmöglichkeit für im Jahr 2011 abgeschlossene Immobiliardarlehensverträge nach § 503 BGB a.F. aufgrund falscher Angabe des effektiven Jahreszinses zugesprochen. Der Berechnung des effektiven Jahreszinses wurde die 360-Tage-Methode und nicht die aus Anlage zu § 6 PAngV 365/366-Tage-Methode zugrunde gelegt, so dass sich eine Abweichung des effektiven Jahreszinses von angegebenen 3,70 % anstatt 3,76/3,77 % ergeben hat. In der Begründung führte das OLG Köln aus, die fehlerhafte Angabe sei wie eine fehlende zu behandeln. Der beabsichtigte Informationszweck werde bei einer fehlerhaften Angabe gleichermaßen verfehlt wie bei einer fehlenden Angabe. Eine fehlerhafte Information berge sogar die Gefahr der Irreführung des Verbrauchers. Dabei zieht OLG Köln Parallelen zu Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG im Rahmen der „Hamilton“-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, Urt. v. 10.04.2008, C 412/06. Demnach sei eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung einer fehlenden Belehrung gleichzusetzen. Schließlich komme eine teleologische Reduktion des § 494 Abs. 6 BGB, der falschen Angabe des effektiven Jahreszinses sei nur eine untergeordnete Informationspflichtverletzung zu zuordnen, aufgrund der Wichtigkeit dieser Information nicht in Frage.

Diesen Erwägungen ist nicht vollumfänglich zuzustimmen.

Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass für Verträge aus dem Jahr 2011 die Rechtslage für die Zeit vom 30.07.2010 bis 12.06.2014 maßgebend ist. Danach steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach §§ 355, 495 BGB zu. Dabei ist für das Ingangsetzen der Widerrufsfrist die Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsinformation (Muster gem. damaliger Anlage 6 zum EGBGB) erforderlich. Die Frist beginnt aber nach § 495 Abs. 2 Nr. 2, lit. b) nicht bevor der Darlehensnehmer die vertraglichen Pflichtangaben (§ 492 Abs. 2 BGB a.F., Art. 247 §§ 3, 6, 9 EGBGB) erhalten hat. Die Angabe des effektiven Jahreszinses ist nach Art. 9, 6, 3 Abs.1 Nr. 3 EGBGB eine Pflichtangabe.

SEMINARTIPPS

19. Heidelberger Bankrechts-Tage, 21.–22.10.2019, Heidelberg.

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 11.11.2019, Würzburg.

Für Angaben im Darlehensvertrag hat der BGH bislang entschieden, dass AGB-rechtlich unwirksame Regelungen die Ordnungsmäßigkeit einer Widerrufsbelehrung nicht beeinträchtigen, etwa bei der Abbedingung von § 193 BGB, BGH, Urt. v. 03.07.2018, XI ZR 758/17. Eine Erschwerung der Ausübung des Widerrufsrechts bestehe durch eine unwirksame Aufrechnungsklausel nicht, so BGH, Urt. v. 25.04.2017, XI ZR 108/16.

Die Problematik/Thematik der fehlerhaften (Pflicht-)Angaben im Verbraucherdarlehensvertrag ist nicht unbekannt. Nach § 6 Abs. 1 VerbrKrG a.F. war ein Kreditvertrag dann nichtig, wenn die in § 4 Abs. 1, Satz 4 Nr. 1b VerbrKrG a.F. vorgeschriebene Gesamtbetragsangabe fehlte. Hier wurde die Nichtigkeit des Kreditvertrages erst dann bejaht, wenn die vorgeschriebene Angabe des Gesamtbetrages völlig fehlt. Dagegen führt – ausgehend von dem auf das Fehlen der Angaben abstellenden Wortlaut des Gesetzes – allein die Unrichtigkeit von Pflichtangaben nicht zur Nichtigkeit eines Kreditvertrags, vgl. BGH, Urt. v. 25.04.2006, XI ZR 106/05, RN 14.

Auch führt der BGH in seiner Entscheidung vom 14.10.2003, XI ZR 134/02, aus: „nach § 6 Abs. 1. VerbrKrG (jetzt § 494 BGB) ist ein Kreditvertrag nichtig, wenn die Schriftform insgesamt nicht eingehalten ist oder wenn - unter anderem - die in § 4 Abs. 1. Satz 4 Nr. 1 lit. d VerbrKrG vorgeschriebenen Angaben über die Kosten des Kredits, einschließlich etwaiger vom Verbraucher zu tragender Vermittlungskosten, fehlen. Angesichts des eindeutig auf das Fehlen von Angaben abstellenden Wortlauts dieser Bestimmung entspricht es der ganz herrschenden Auffassung, dass die Nichtigkeit des Kreditvertrags grundsätzlich nicht eintritt, wenn erforderliche Angaben nicht fehlen, sondern lediglich unrichtig sind.“.

Der Wortlaut des Gesetzes geht dahin, dass der Darlehensnehmer die Angaben „erhält“. Das bedeutet, dass der Darlehensnehmer ein Vertragsexemplar erhalten muss, das diese Pflichtangaben enthält. Dies ist die nahezu wörtliche Umsetzung der Vorgaben der Art. 10 i. V. m. 14 der Richtlinie 2008/48/EG. Hierbei ist wiederum zu beachten, dass diese Richtlinie nicht für Immobiliardarlehen gilt (vgl. Art. 2 Abs. 2a der Richtlinie) und insoweit eine überschießende Umsetzung im deutschen Recht gegeben ist.

Des Weiteren zog das OLG Köln Parallelen in der Bewertung des Europäischen Gerichtshofes in der Entscheidung, Urt. v. 10.04.2018, C-412/06 „Hamilton“, zur Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG indem „diese fehlerhafte Angabe wie eine fehlende Angabe zu behandeln“ sei. Dieser Bewertung kann nicht gefolgt werden. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes bezieht sich auf die fehlerhafte Belehrung des Verbrauches über sein Widerrufsrecht und nicht über fehlerhafte Pflichtangabe in einem Darlehensvertrag. Die Pflichtangabe über den Effektivzins ist zwar eine wichtige Information für den Verbraucher und ein wesentlicher Inhalt des Darlehensvertrages, allerdings kein Bestandteil der (richtig erteilten) Widerrufsinformation. Außer Frage steht, dass die Angabe des effektiven Jahreszinses ein zentraler Entscheidungs- und Vergleichsparameter ist, um den tatsächlichen Preis für die Kapitalnutzung feststellen zu können.

Der Gesetzgeber hat deswegen in § 494 BGB ein System von Rechtsfolgen des Fehlens oder der Fehlerhaftigkeit von Pflichtangaben im Vertrag geschaffen. Insbesondere ist in § 494 BGB in Bezug auf den effektiven Jahreszins zum Fehlen erforderlicher Angaben (§ 494 Abs.1 und 2 BGB a.F.) auch der Fall ihrer Unrichtigkeit geregelt, § 494 Abs.3 BGB a.F. Der Gesetzgeber hat insoweit von einer Nichtigkeitssanktion zunächst bewusst abgesehen und sich in § 494 Abs. 3 BGB a.F. darauf beschränkt, stattdessen bei zu niedrig angegebenem Effektivzins eine der Abweichung nach unten entsprechend prozentuale Verminderung des vereinbarten Nominalzinses anzuordnen. Die Angabe eines überhöhten Effektivzinses ist demgegenüber unschädlich, vgl. Schürnbrand in MüKo, BGB § 494 Rn. 31. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber nochmals unterstrichen, welche Bedeutung er dem effektiven Jahreszins als Vergleichsgröße für die Verbraucherinformation beimisst, dabei jedoch auch maßvolle Konsequenzen an die Unrichtigkeit von dessen Angabe geknüpft, vgl. Schürnbrand in MüKo, BGB, § 494 Rn. 31. Der Gesetzgeber wollte gerade im Interesse des Verbraucherschutzes eine differenzierte Rechtsfolgenregelung und einen angemessenen Kompromiss schaffen, vgl. BT-Dr. 11/5462 vom 25.10.1989 zu § 5 (Rechtsfolgen bei Formmängeln), S. 21.

Dieser hier vertretenen bisherigen Systematik folgend, stellte das OLG Celle in seinen Beschlüssen vom 03.01.2019 und 28.01.2019 fest, dass für den Anlauf der Widerrufsfrist unerheblich ist, ob der Effektivzins rechnerisch korrekt angegeben wurde, entscheidend ist allein die Tatsache, dass der Darlehensnehmer die Pflichtangabe gem. § 492 Abs. 2 BGB erhalten habe.

Zuletzt stellt auch das OLG Hamburg mit Urt. v. 13.12.2019, 13 U 56/18, in der konsequenten Umsetzung der BGH-Rechtsprechung, Urt. v. 10.10.2017, XI ZR 433/16, klar, dass „eine formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen genügenden Widerrufsinformation nicht dadurch undeutlich wird, dass die Vertragsunterlagen an anderer Stelle einen inhaltlich nicht ordnungsgemäßen Zusatz enthalten“.

Überzeugender als das OLG Köln und finanzmathematisch begründet, verdeutlichte das OLG Hamburg in seinem Urt. v. 13.12.2018, 13 U 56/18, dass es im Ergebnis keinen Unterschied zwischen den Berechnungsmethoden 360-Tage und 365/366-Tage gibt, denn die Grundgleichung dient der Darstellung der Gleichheit zwischen Verbraucherdarlehens-Auszahlungsbeträgen einerseits und Rückzahlungen (Tilgung, Zinsen und Verbraucherdarlehenskosten) andererseits. Geringe Abweichungen zwischen den Methoden seien unbeachtlich bzw. noch im Rahmen der mathematischen Rundung auf einen Näherungswert sowie im Bereich der Vorgaben der PAngV, wonach der effektive Jahreszins auf (mindestens) eine Nachkommastelle anzugeben ist. Folglich kann durch die Verwendung der 360-Tage-Methode keine Irreführung des Verbrauches erzeugt werden, da die Grundgleichung insoweit gleich bleibt und die Abweichung nur 0,028 % ausmache.

PRAXISTIPP

  • Zusammenfassend kann der Entscheidung des OLG Köln nicht gefolgt werden. Zum einen bestehen ganz klare Regelungen und Sanktionen zur fehlerhaften Angabe des effektiven Jahreszinses, zum anderen ist aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zu entnehmen, dass fehlerhafte vertragliche Angaben sich auf eine ordnungsgemäß erteile Widerrufsinformation auswirken.


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