Mittwoch, 16. September 2020

Verjährungs- und Ausschlussfristen bei missbräuchlichen Klauseln

EuGH zur Vereinbarkeit von Verjährungs- und Ausschlussfristen im Zusammenhang mit missbräuchlichen Klauseln.

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In seiner Entscheidung vom 09.07.2020, Az. C-98/18 und C-699/18, hält der EuGH zunächst fest, dass eine innerstaatliche Regelung dem europäischen Recht nicht entgegensteht, welche zwar für die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel keine Verjährungsfrist enthält, eine solche Verjährungsfrist jedoch für die Rückzahlung der aufgrund der missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge vorsieht. Allerdings hält der EuGH auch fest, dass diese Frist nicht weniger günstig ausgestaltet sein darf als die für entsprechende innerstaatliche Klagen geltende Frist (Äquivalenzgrundsatz). Zudem dürfe diese Frist die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz, vgl. Rn. 57).

 

Hieran anschließend erinnert der EuGH daran, dass die von den nationalen Staaten im Interesse der Rechtssicherheit vorgegebenen angemessenen Ausschlussfristen grundsätzlich nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Dies allerdings nur dann, wenn diese Fristen faktisch ausreichend sind, um den Betroffenen zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen (Rn. 62).

 

SEMINARTIPPS

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 23.11.2020, Frankfurt/M.

Aktuelle Praxisfragen Immobiliar-Verbraucherkredite, 28.04.2021, Frankfurt/M.

VerbraucherKreditRecht 2021, 10.05.2021, Frankfurt/M.

 

Was wiederum die Angemessenheit der vom nationalen Staat vorgegebenen Ausschluss- bzw. Verjährungsfristen anbelangt, so vertritt der EuGH die Auffassung, dass es mit dem Effektivitätsprinzip unvereinbar ist, wenn für eine Klage auf Erstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos entrichteten Beträge im nationalen Recht eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorgegeben wird, welche unabhängig davon, ob der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit der ihn betreffenden Vertragsklausel Kenntnis hat oder vernünftigerweise haben konnte, mit der vollständigen Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags zu laufen beginnt. Denn durch eine solche Verjährungsvorschrift würde die Ausübung der dem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte übermäßig erschwert (Rn. 74).

 

Schließlich hält der EuGH fest, dass der Äquivalenzgrundsatz einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, wonach der Lauf der Verjährungsfrist für eine Klage auf Erstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos entrichteten Beträge ab dem Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des Vertrags beginnt, während der Lauf derselben Frist für eine entsprechende, auf innerstaatliche Vorschriften gestützte Klage erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem die Klage beruht (Rn. 82). 

 

PRAXISTIPP

 

Für das deutsche Recht dürfte vorstehende EuGH-Entscheidung auf den ersten Blick keine große Bedeutung haben, nachdem die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist bei Rückforderungsansprüche aufgrund nichtiger missbräuchlicher Klauseln i. S. d. EuGH-Rechtsprechung unter anderem erst dann zu laufen beginnt, wenn der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Nachdem allerdings nach deutschem Recht der Gläubiger aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich lediglich Kenntnis z. B. von der Erhebung des Entgelts als solche haben muss, eine rechtliche Würdigung der ihm bekannten objektiven Umstände im Sinne der Kenntnis von der Unwirksamkeit oder Missbräuchlichkeit der Klausel demgegenüber für den Fristbeginn grundsätzlich nicht gefordert wird, weswegen auch die dreijährige Verjährungsfrist in der Regel z. B. bei der Rückforderung von in unzulässiger Weise vereinnahmter Entgelte bereits mit Vertragsabschluss zu laufen beginnt, könnte auf den zweiten Blick vorstehende EuGH-Entscheidung durchaus dahingehend verstanden werden, dass auch die regelmäßige deutsche dreijährige Verjährungsfrist europarechtswidrig ist, da sie den Beginn der Frist nicht von der Kenntnis des Verbrauchers von der Missbräuchlichkeit bzw. Nichtigkeit der betroffenen Vertragsklausel abhängig macht. Dies gilt erst recht, wenn man nachfolgend besprochene EuGH-Entscheidung vom 16.07.2020 berücksichtigt (vgl. hierzu gleich). Darüber hinaus ist fraglich, ob der EuGH die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährung i.S.v. § 199 Abs. 3 BGB für ausreichend lange ansieht, um diese als mit dem Effektivitätsprinzip vereinbar anzusehen. Denn auch diese Frist beginnt unabhängig davon an zu laufen, ob dem Verbraucher/Darlehensnehmer die Missbräuchlichkeit/Nichtigkeit der Vertragsklausel bekannt ist oder hätte bekannt sein müssen.

 


Beitragsnummer: 10722

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Kein Widerruf nach vollständiger Erfüllung eines Kreditvertrags

Ein Verbraucher kann sich nach vollständiger Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen aus einem Kreditvertrag nicht mehr auf sein Widerrufsrecht berufen.

17.04.2024

Beitragsicon
Verjährungsneubeginn gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB

Allein der Umstand, dass ein Gläubiger aus einem titulierten Anspruch viele Jahre lang gegenüber dem Schuldner nicht vorgeht, führt nicht Verwirkung dessen.

22.02.2024

Beitragsicon
Kosten-Klausel in Riester-Sparvertrag unwirksam

Die in Riester-Vertragsklausel zur ggf." Abschluss- und/oder Vermittlungskosten“ beinhaltet eine Vertragsbedingung und verstößt gegen das Transparenzverbot.

15.01.2024

Beitragsicon
Abhilfeverfahren als neues Instrument der Massenklage gegen Banken

In diesem Beitrag wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten Banken haben, auf Musterfeststellungsklagen wegen Zinsansprüchen aus Prämiensparverträgen zu reagieren.

08.08.2023

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.