Mittwoch, 16. September 2020

Missbräuchliche Klauseln und Wirksamkeit von Verjährungsfristen

EuGH zu missbräuchlichen Klauseln und Wirksamkeit von Verjährungsfristen.

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In seiner Entscheidung vom 16.07.2020, Az. C-224/19 und 259/19, hält der EuGH zunächst fest, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung ein nationales Gericht, nachdem eine Klausel für missbräuchlich und folglich nichtig erklärt worden ist, diese Klausel gem. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 für unanwendbar zu erklären hat, damit sie den Verbraucher nicht mehr bindet. Dies allerdings nur dann, wenn der Verbraucher dem nicht widerspricht (Rn. 50). Eine für missbräuchlich erklärte Vertragsklausel müsse deshalb bei fehlendem Widerspruch des Verbrauchers grundsätzlich als von Anfang an nicht existent angesehen werden, sodass sie gegenüber dem Verbraucher keine Wirkung entfaltet (Rn. 52). 

 

Hiervon ausgehend führt der EuGH aus, dass es dem nationalen Staat ungeachtet dessen erlaubt sei, in nationalen Vorschriften festzuhalten, dass der Darlehensnehmer einen Teil oder gar die gesamten Kosten für die Bestellung und Löschung einer Hypothek zu tragen hat. Ist daher eine solche nationale Regelung vorhanden, dann kann dem Verbraucher/Darlehensnehmer auch bei Vorliegen einer entsprechenden missbräuchlichen Vertragsklausel der Anspruch auf Erstattung der in Anwendung dieser Klausel gezahlten Beträge durch das nationale Gericht versagt werden (Rn. 54). 

 

SEMINARTIPPS

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 23.11.2020, Frankfurt/M.

Aktuelle Praxisfragen Immobiliar-Verbraucherkredite, 28.04.2021, Frankfurt/M.

VerbraucherKreditRecht 2021, 10.05.2021, Frankfurt/M.

 

Sodann erinnert der EuGH daran, dass die ihm obliegende Kompetenz zur Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit von Leistung (z. B. Entgelt) und Gegenleistung (Dienstleistung) betrifft. Bei solchen Klauseln könne er allerdings prüfen, ob diese Vertragsklauseln klar und verständlich abgefasst sind (Rn. 60). In diesem Zusammenhang hält der EuGH fest, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung der Natur, der Systematik und der Bestimmungen des betreffenden Darlehensvertrages sowie des rechtlichen und tatsächlichen Kontexts, in den die Vertragsklausel eingebettet ist, zu beurteilen, ob die betreffende Klausel einen wesentlichen Bestandteil des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hypothekendarlehensvertrages darstellt (Rn. 63). Insofern müsse das nationale Gericht eigenständig entscheiden, ob es sich bei der im Darlehensvertrag vereinbarten Bereitstellungsprovision um eine Hauptleistung des Vertrages handelt. Dabei könne allerdings – so der EuGH – eine Bereitstellungsprovision nicht allein deshalb als eine Hauptleistung eines Immobiliar-Darlehensvertrages angesehen werden, weil sie in dessen Gesamtkosten enthalten ist (Rn. 64). Gelangt wiederum das nationale Gericht zum Ergebnis, dass es sich bei der vereinbarten Bereitstellungsprovision um eine Hauptleistung handelt, müsse das Gericht jedenfalls noch prüfen, ob die Klausel dem Erfordernis von Klarheit und Verständlichkeit entspricht (Rn. 66). Dabei habe das nationale Gericht zu berücksichtigen, dass die betreffende Vertragsklausel nicht nur in grammatikalischer Hinsicht für den Verbraucher nachvollziehbar sein muss, sondern dass der Vertrag auch die konkrete Funktionsweise des Verfahrens, auf das die betreffende Klausel Bezug nimmt, und ggf. das Verständnis zwischen diesem und dem durch andere Klauseln vorgeschriebenen Verfahren in transparenter Weise darstellen muss, damit der Verbraucher in die Lage versetzt wird, die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen (Rn. 67). Daher müsse das nationale Gericht im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umständen prüfen, ob das Finanzinstitut den Verbraucher ausreichend Informationen erteilt hat, damit er Kenntnis von dem Inhalt und der Funktionsweise der ihm die Zahlung der Bereitstellungsprovision auferlegenden Klausel sowie ihrer Rolle in dem Darlehensvertrag erhält (Rn. 70).

 

Was wiederum die Frage der Höhe der Bereitstellungsprovision anbelangt sowie die hiermit verbundene weitere Frage, ob mit der Vereinbarung der Bereitstellungsprovision entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers verstoßen wurde, so hält der EuGH fest, dass es ausschließlich Sache des nationalen Gerichts ist zu prüfen, ob ein ungerechtfertigtes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht (Rn. 73), weswegen der EuGH sich in seiner Entscheidung darauf beschränkt, dem nationalen Gericht einige Hinweise zu erteilen, welche das nationale Gericht bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit der die Bereitstellungsprovision enthaltenen Klausel zu beachten hat (Rn. 73 ff).

 

Was wiederum die für die Rückzahlung aufgrund der missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge eingreifende und ab Abschluss des die Klausel enthaltenen Vertrages zu laufen beginnende Dreijahresfrist anbelangt, so weist der EuGH zunächst darauf hin, dass Zwei- oder Drei-Jahres-Fristen mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar sind mit der Folge, dass die streitrelevante Verjährungsfrist von fünf Jahren für die bereicherungsrechtlichen Ansprüche des Darlehensnehmers auf Rückerstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel erbrachten Beträge grundsätzlich als zulässig anzusehen ist (Rn. 87). Allerdings hebt der EuGH unabhängig hiervon auch hervor, dass eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, welche unabhängig davon, ob der Verbraucher/Darlehensnehmer die Missbräuchlichkeit dieser Klausel kannte oder vernünftigerweise hätte kennen können, ab Vertragsschluss zu laufen beginnt, zur Folge hat, dass der Verbraucher die Erstattung der in Vollziehung einer für missbräuchlich befundenen Klausel geleisteten Zahlungen nur in den ersten fünf Jahren nach Unterzeichnung des Vertrages verlangen kann. Dies wiederum sei nach Auffassung des EuGH geeignet, die Ausübung der diesem Verbraucher durch die Richtlinie verliehenen Rechte übermäßig zu erschweren, weswegen eine solche Regelung gegen den Effektivitätsgrundsatz verstoße (Rn. 91).

 

PRAXISTIPP

 

Vorstehende Entscheidung des EuGH zeigt einmal mehr, dass sich der EuGH immer mehr zu missbräuchlichen Vertragsklauseln äußert und den nationalen Gerichten Vorgaben insbesondere auch dadurch macht, dass er diesen „Hinweise an die Hand gibt“, an welche sich nationale Gerichte dann zu orientieren haben, wollen sie die Aufhebung ihrer Urteile durch den EuGH nicht riskieren. 

 

Vorstehender EuGH-Entscheidung kommt ungeachtet dessen für das deutsche Recht insofern ganz entscheidende Bedeutung zu, als der EuGH, anknüpfend an seine vorstehend bereits erörterte Entscheidung vom 09.07.2020, dahingehend verstanden werden könnte, dass er die grundsätzliche in § 199 Abs. 1 BGB geregelte kenntnisabhängige Regelverjährung in Frage stellt. Denn wie bereits ausgeführt, setzt die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen nach deutschem Recht nicht die Kenntnis der zutreffenden Rechtslage voraus, weswegen bspw. bei der Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Entgelten die dreijährige Verjährungsfrist bereits mit Abschluss des Kreditvertrages zu laufen beginnt und zwar unabhängig davon, ob dem Kreditnehmer die Unwirksamkeit des vereinbarten Entgelts bekannt war/ist oder nicht. Dieser Grundsatz könnte wiederum mit der vom EuGH sowohl in seiner vorstehenden Entscheidung vom 16.07.2020 als auch in seiner zuvor erörterten Entscheidung vom 09.07.2020 angedeuteten Meinung unvereinbar sein, wonach eine nationale, im Zusammenhang mit missbräuchlichen Klauseln zur Anwendung gelangende Verjährungsfrist nur dann mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist, wenn der Beginn der Lauf der Frist jedenfalls auch an die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Verbrauchers/Darlehensnehmers von der Missbräuchlichkeit/Nichtigkeit der Klausel anknüpft. Ob der EuGH dies tatsächlich so sieht und ob der BGH bei entsprechender Sichtweise des EuGH seine bis zum heutigen Tage noch vertretene Meinung zum Verjährungsbeginn europarechtskonform anpasst, bleibt abzuwarten.

 


Beitragsnummer: 10723

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Kein Widerruf nach vollständiger Erfüllung eines Kreditvertrags

Ein Verbraucher kann sich nach vollständiger Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen aus einem Kreditvertrag nicht mehr auf sein Widerrufsrecht berufen.

17.04.2024

Beitragsicon
Kosten-Klausel in Riester-Sparvertrag unwirksam

Die in Riester-Vertragsklausel zur ggf." Abschluss- und/oder Vermittlungskosten“ beinhaltet eine Vertragsbedingung und verstößt gegen das Transparenzverbot.

15.01.2024

Beitragsicon
BGH: Rolle rückwärts bei Widerruf von Allgemein-Verbraucherdarlehen

Der BGH entschied aktuell, dass ein Kreditnehmer kein fortdauerndes Widerrufsrecht hat, auch wenn die erteilte Angabe einer Klauselkontrolle nicht standhalte.

21.03.2024

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.