Montag, 6. April 2020

Haftung der Versicherer bei Corona-bedingter Betriebsschließung

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

Durch die vom Staat Corona-bedingt im März 2020 angeordneten Betriebsschließungen befinden sich nahezu alle Restaurants, Hotels, Einzelhändler und vergleichbare Unternehmen in ganz erheblicher wirtschaftlicher Not und haben insbesondere Liquiditätsengpässe, da sie ihre Pacht/Miete sowie ihre Mitarbeiter nach wie vor bezahlen müssen und sich der Staat mit der Bezahlung von Kurzarbeitergeld sowie mit der Zahlung der Fördermittel und der Gewährung von Krediten Zeit lässt, welche die Unternehmen nicht haben und demgemäß zeitabschnittsweise in immer größere wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Insofern versuchen diejenigen Unternehmen, welche über sog. „Betriebsschließungsversicherungen wegen Infektionsgefahr“ verfügen – hierbei soll es sich nur um ein Prozent der Unternehmen handeln (vgl. hierzu den Beitrag „Württembergische sieht die Öffentliche Hand bei der BSV in der Pflicht“, in Versicherungswirtschaft – Heute vom 31.03.2020) – und welche in der Regel nur für einen sehr kurzen Zeitraum von ca. 30 Tagen greifen und damit grundsätzlich nur zu einer „überschaubaren“ Haftung der Versicherer führen, ihre Versicherer in die Haftung zu nehmen und drängen aufgrund deren Liquiditätsengpässe auf eine schnelle Zahlung. Die Versicherer wiederum lehnen die Haftungsübernahme entweder von vorne herein ab oder aber sie lassen sich mit der Prüfung des konkreten Einzelfalles sehr lange Zeit, welche die Unternehmen nicht haben, weswegen die Versicherer mit ihrer Haltung die Insolvenz ihrer Versicherungsnehmer riskieren und bewusst in Kauf nehmen, was vom Bundesverband der Deutschen Versicherungsmakler massiv kritisiert wird (vgl. hierzu nur den Beitrag „Streit um Corona-Versicherung eskaliert“, in Süddeutsche Zeitung vom 30.03.2020).

 

SEMINARTIPPS

Haftungsfalle Sanierungsgutachten, 18.11.2020, Köln.

Schlanke und bezahlbare Sanierungskonzepte, 19.11.2020, Köln.

 

Zur Begründung berufen sich die Versicherer im Wesentlichen darauf, dass für den Eintritt des Versicherungsfalls eine konkrete behördliche Anordnung für den Einzelfall vorliegen müsse, was bei der staatlich angeordneten allgemeinen Betriebsschließung nicht der Fall sei. Zudem falle das neue Corona-Virus nicht in den Versicherungsschutz, weil dieses Virus zum maßgeblichen Versicherungsabschlusszeitpunkt nicht zu den meldepflichtigen Krankheiten i. S. d. damaligen Fassung des zumindest teilweise in den Versicherungsbedingungen in Bezug genommenen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gehörte (vgl. hierzu beispielhaft den Beitrag „Betriebsschließungsversicherungen: Verspielt die Branche das Vertrauen der Kunden?“, in Versicherungswirtschaft – Heute vom 30.03.2020).

 

Den Versicherern ist insofern einzugestehen, dass Betriebsschließungsversicherungen sich sowohl inhaltlich als auch von den Formulierungen her teilweise ganz erheblich voneinander unterscheiden und daher der Eintritt des Versicherungsfalls von der Prüfung eines jeden Einzelfalles abhängt. Allerdings sollte die Versicherungsbranche ihren Ruf und das in sie gesetzte Vertrauen nicht dadurch unnötig verspielen, dass sie sich auch in solchen Fällen mit der Übernahme der Haftung Zeit lässt oder gar die Haftung ablehnt, die bei objektiver Betrachtung ernsthafte Zweifel an der Haftung durch den Versicherer nicht aufkommen lassen. 

 

BUCHTIPPS

Igl (Hrsg.), Sanierungsplanung in Kreditinstituten, 2019.

Portisch, Prozesse und Controlling in Sanierung und Abwicklung, 3. Aufl. 2017.

 


Ist beispielsweise im Versicherungsschein geregelt, dass sich der Schutz bei Betriebsschließung auf den „Ertragsausfall und Warenschäden aufgrund behördlich angeordneter Maßnahmen bzw. Schließung des Betriebes infolge Seuchengefahr“ bezieht und ist in den weiteren Versicherungsbedingungen geregelt, dass der Versicherer die Entschädigung dann leistet, „wenn die zuständige Behörde aufgrund Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger“ den Betrieb schließt und ist in den weiteren Bedingungen aufgenommen, dass „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser (Versicherungs-)Bedingungen die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ sind, dann dürfte nach der (auch) für die Auslegung von Versicherungsbedingungen maßgeblichen Sicht sowie den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden kein Zweifel daran bestehen, dass auch das Corona-Virus vom Versicherungsschutz umfasst ist. Denn bereits nach dem Versicherungsschein greift die Entschädigungspflicht des Versicherers in Bezug auf Ertragsausfall sowie Warenschäden sowohl aufgrund behördlich angeordneter Maßnahmen als auch aufgrund behördlich angeordneter Schließung des Betriebes infolge von Seuchengefahr, wobei unstreitig sein dürfte, dass es sich beispielsweise bei der von der Landesregierung Baden-Württemberg angeordneten Schließung von Betrieben um eine behördliche Maßnahme i. S. v. § 1 Abs. 4 VwVfG handelt. Unabhängig hiervon ergibt sich aus den vorstehend beispielhaft erwähnten Versicherungsbedingungen, dass der Versicherer dann die Entschädigung zu leisten hat, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger den Betrieb schließt, sodass kein Zweifel daran besteht, dass die vom Staat angeordnete Betriebsschließung eine Maßnahme i. S. d. Versicherungsbedingungen darstellt. 

 

Berücksichtigt man weiter, dass in den Versicherungsbedingungen ausdrücklich auf die namentlich im IfSG erwähnten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger Bezug genommen wird und bedenkt man ferner, dass die Versicherungsbedingungen ausdrücklich auch auf die in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern verweisen, dann dürfte kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass auch das neue Corona-Virus vom Versicherungsschutz umfasst ist. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass das neuartige Corona-Virus wiederum aufgrund der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des IfSG vom 30.01.2020 als meldepflichtige Krankheit i. S. v. § 6 Abs. 1 S .1 Nr. 1 IfSG aufgenommen wurde. Denn insoweit handelt es sich beim Verweis auf die Normen des IfSG ganz offenkundig um eine sog. dynamische Verweisung auf die jeweils aktuelle Fassung des IfSG.

 

Selbst wenn jedoch Zweifel daran bestehen würden, ob es sich bei dem Verweis auf das IfSG um eine dynamische Verweisung handelt, ginge dies nach § 305c BGB sowie nach dem Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung zu Lasten des Versicherers mit der Folge, dass der Verweis auf das IfSG als dynamischer Verweis anzusehen ist (vgl. hier beispielsweise BAG, Urt. v. 09.11.2015, Az. 5 AZR 241/05 u. 280/09).

 

Insofern ist es auch unerheblich, dass das Corona-Virus nicht ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen erwähnt ist. Denn die dortige Aufzählung dürfte als reine beispielhafte Aufzählung anzusehen sein, da die Versicherungsbedingungen ausdrücklich Bezug nehmen auf die maßgeblichen Normen des IfSG. Zudem muss auch in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass sämtliche auftretenden Unklarheiten in den Versicherungsbedingungen zu Lasten des Versicherers gehen und nach dem Verständnis eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden die Versicherungsbedingungen so verstanden werden müssen, dass diese sich auf die aktuell meldepflichtigen Krankheiten i. S. d. §§ 6 und 7 IfSG beziehen. 

 

Hiervon unabhängig wäre in jedem konkreten Einzelfall noch zu prüfen, ob das neue Corona-Virus nicht schon unter § 6 Nr. 5 der früheren Fassung des IfSG fällt, nach welchem auch „das Auftreten einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, die nicht bereits nach den Nr. 1-4 meldepflichtig ist“. Zudem wäre zu prüfen, ob das Corona-Virus nicht auch unter den in den Versicherungsbedingungen in der Regel aufgeführten Begriff der „Influenzaviren“ fällt, da der Corona-Virus mit den Influenzaviren vergleichbar ist. Im Übrigen wäre noch zu prüfen, ob die Einschränkung der Haftung auf den kurzen Zeitraum von nur 30 Schließungstagen, welche in einer erheblichen Anzahl an Betriebsschließungsversicherungen enthalten ist, ebenfalls als überraschende Klausel i. S. v. § 305c BGB oder aber als unangemessene Benachteiligung i. S. v. § 307 BGB angesehen werden muss.

 

Unabhängig von der rechtlichen Bewertung des Inhalts sowie der Formulierung der jeweiligen Betriebsschließungsversicherungen stünde es der Versicherungsbranche gut zu Gesicht, Restaurantbesitzern, Hoteliers und sonstigen Unternehmern, die eine Betriebsschließungsversicherung mit ähnlichem Inhalt wie vorstehend beispielhaft aufgeführte Bedingungen abgeschlossen haben, den Versicherungsschutz zu gewähren und diese nicht in die Insolvenz laufen zu lassen. Notfalls sind die BaFin als Bundes-Versicherungsaufsichtsbehörde, die Landesaufsichtsämter und letztendlich auch die Politik gefordert, Einfluss auf die Versicherer zu nehmen. Denn sämtliche staatlichen Maßnahmen würden ins Leere laufen, wenn die Versicherungswirtschaft eine ganz offenkundig für den „Corona-Fall“ abgeschlossene Betriebsschließungsversicherung ins Leere laufen lassen und die Unternehmer am langen ausgestreckten Arm verhungern und insolvent gehen lassen würden, bevor die staatlichen Maßnahmen umgesetzt worden sind.


Beitragsnummer: 6469

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