Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner
In seiner Entscheidung vom 09.07.2020, Az. C-452/18, hält der EuGH zunächst fest, dass das Recht des Verbrauchers auf wirksamen Schutz die Befugnis einschließt, auf die Geltendmachung seiner Rechte zu verzichten mit der Folge, dass ggf. der vom Verbraucher geäußerte Wille berücksichtigt werden muss, wenn dieser im Wissen um die Unverbindlichkeit einer missbräuchlichen Klausel gleichwohl angibt, dass er deren Nichtanwendung widerspreche und daher der fraglichen Klausel freiwillig und aufgeklärt zustimmt (Rn. 25). Die Richtlinie 93/13 gehe nämlich nach Auffassung des EuGH nicht so weit, dem System zum Schutz gegen die Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende zwingenden Charakter zu verleihen, weswegen der Verbraucher auf dieses Schutzsystem verzichten könne (Rn. 26). Insofern stehe die Richtlinie nach Meinung des EuGH dem Umstand nicht entgegen, dass ein Verbraucher im Rahmen eines Novationsvertrages darauf verzichtet, sich auf die Missbräuchlichkeit einer in seinem früheren Vertrag enthaltene Klausel zu berufen. Voraussetzung sei allerdings, dass dieser Verzicht auf einer freiwilligen und aufgeklärten Entscheidung des Verbrauchers beruht, was das nationale Gericht wiederum zu prüfen habe (Rn. 28).
SEMINARTIPPS
Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 23.11.2020, Frankfurt/M.
Aktuelle Praxisfragen Immobiliar-Verbraucherkredite, 28.04.2021, Frankfurt/M.
VerbraucherKreditRecht 2021, 10.05.2021, Frankfurt/M.
Hinsichtlich der Frage, ob die streitgegenständliche Klausel individualvertraglich im Einzelnen ausgehandelt wurde, führt der EuGH aus, dass es grundsätzlich ebenfalls Aufgabe des nationalen Gerichts sei, anhand sämtlicher Umstände zu prüfen, ob die streitgegenständliche Klausel einzelvertraglich ausgehandelt wurde oder ob es sich hierbei um eine AGB handelt (Rn. 35). In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung eine Vertragsklausel immer dann als nicht im Einzelnen ausgehandelt anzusehen ist, wenn sie vom Gewerbetreibenden im Voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere wie es im Rahmen eines vorformulierten Standartvertrages der Fall ist, keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen kann. Insofern seien Klauseln, die zur allgemeinen Verwendung abgefasst werden, als nicht im Einzelnen ausgehandelt anzusehen (Rn. 33).
INHOUSETIPP
VerbraucherKreditRecht kompakt.
Was wiederum die Einhaltung des Transparenzgebots anbelangt, so weist der EuGH darauf hin, dass es auch hier Aufgabe des nationalen Gerichts sei, anhand aller relevanten Tatsachen zu prüfen, ob die streitgegenständlichen Klauseln klar und verständlich abgefasst sind (Rn. 46). Ungeachtet dessen erteilt der EuGH dem nationalen Gericht den Hinweis, dass bei einem Hypothekendarlehensvertrag mit variablem Zinssatz der Verbraucher durch die Bereitstellung von Informationen über die frühere Entwicklung des Index, auf dessen Grundlage der anwendbare Zinssatz berechnet wird, in besonderer Weise aufgeklärt werden müsse (Rn. 53). Denn nur anhand solcher Informationen könne der Verbraucher in die Lage versetzt werden, in Anbetracht der vergangenen Schwankungen zu begreifen, dass er eventuell nicht von Zinssätzen profitieren kann, die unter dem ihm unterbreiteten Mindestzinssatz liegen (Rn. 54).
PRAXISTIPP
Die Entscheidung macht nicht nur nochmals deutlich, dass der EuGH sehr strenge Anforderungen an die Transparenz einer Vertragsklausel in Darlehensverträgen stellt. Die Entscheidung stellt darüber hinaus erfreulicherweise auch klar, dass der Darlehensnehmer/Verbraucher, soweit dieser über Inhalt und Tragweite seiner Entscheidung ausreichend aufgeklärt ist, auch auf seinen ihm durch die Richtlinie eingeräumten Schutz vor der Verwendung missbräuchlicher Klauseln verzichten kann.
Beitragsnummer: 10724