Freitag, 21. Februar 2020

Entscheidungsperspektiven aus Stresstests und adversen Szenarien

Handlungsmaßnahmen ableiten und konsistent in die Geschäftspolitik einbetten

Noel Opala, vormals Abteilungsleiter Controlling, VR Bank Niederbayern-Oberpfalz eG

 

Die Ableitung von Handlungsmaßnahmen für Stresstests und adverse Szenarien stellt eine wesentliche Anforderung der aufsichtlichen Regularien [BaFin (2018), BaFin (2017)] dar. Dabei erwächst die Ableitung und Einbettung von Handlungsmaßnahmen bei weitem nicht zu einer notwendigen Pflichtübung, bei der es sich nur um das Vorhandensein der Maßnahmen handelt. Vielmehr sind diese konsistent in die Geschäftspolitik und in die Steuerungsphilosophie einzubetten und stellen dahingehend ein wesentliches Qualitätskriterium bei der Beurteilung der Stresstests und adversen Szenarien dar.

 

 

Handlungsmaßnahmen im regulatorischen Kontext

 

Die nachfolgende Tabelle 1 stellt die verschiedenen aufsichtlichen Anforderungen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – dar.

 

Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessuale Einbindung in die Gesamtbanksteuerung („ICAAP“) – Neuausrichtung [BaFin (2018)]

Tz. 24

„Für das aufsichtliche Verständnis der institutsinternen Steuerungsphilosophie ist Transparenz über sämtliche für die Steuerung relevanten Aspekte notwendig.“

Tz. 33

„Vorgesehene potentielle Maßnahmen zur Wiederherstellung müssen grundsätzlich im Einklang mit der Strategie des Instituts und einem ggf. bestehenden Sanierungsplan stehen.“

Tz. 53

„Bei der Festlegung der Haltedauer von Marktrisikopositionen kann daher ein potenzieller Abbau von Risikopositionen nur insoweit berücksichtigt werden, wie das Institut nachweisen kann, dass eine solche Steuerungsmaßnahme mit den Strategien, Risikosteuerungs- und -controllingprozessen sowie der Portfoliostruktur im Einklang steht. Dies schließt die konsistente Berücksichtigung der Ertrags- und Kostensituation nach einem unterstellten Abbau von Risikopositionen ein.“

Rundschreiben 09/2017 (BA) – Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk [BaFin (2017)]

AT 4.2

Tz. 2

„Die Geschäftsleitung hat eine mit der Geschäftsstrategie und den daraus resultierenden Risiken konsistente Risikostrategie festzulegen. Die Risikostrategie hat, ggf. unterteilt in Teilstrategien für die wesentlichen Risiken, die Ziele der Risikosteuerung der wesentlichen Geschäftsaktivitäten sowie die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele zu umfassen.“

AT 4.3.3

Tz. 6 Erl.

„Identifizierter Handlungsbedarf muss nicht automatisch in eine Unterlegung mit Risikodeckungspotenzial münden. Alternativ dazu können auch andere Maßnahmen wie z. B. eine verschärfte Überwachung der Risiken, Limitanpassungen oder Anpassungen in der geschäftspolitischen Ausrichtung geeignet sein.“

 

In Anlehnung an Tz. 9 des RTF-Leitfadens sind weiterhin 

 

  • Solidität – Sind die Methoden und Verfahren proportional zu Art, Umfang und Komplexität der Geschäftstätigkeit?
  • Wirksamkeit – Sind die eingesetzten Methoden und Verfahren wirksam und werden sie auch genutzt?
  • Vollständigkeit – Werden alle Risiken in Methoden, Verfahren und Prozessen berücksichtigt und werden alle rechtlichen Anforderungen eingehalten?

 

zu berücksichtigen.

 

 

Qualitätsmerkmale proportionaler Handlungsmaßnahmen

 

Hieraus hervorgehend sind verschiedene Qualitätsmerkmale für die Ableitung konsistenter Handlungsmaßnahmen herauszuarbeiten. Die Varianz und Gestaltungsmöglichkeiten von Handlungsmaßnahmen in Stresstests und adversen Szenarien sind hierbei nicht zuletzt aufgrund der Individualität der Geschäftsmodelle sehr groß. Gleichwohl gilt der Kriterienkatalog zunächst einheitlich und für jedes Geschäftsmodell gleichermaßen, wobei die Proportionalität Gestaltungsspielräume zulässt [BaFin (2018), Tz. 5, BaFin (2017), AT 1 Tz. 2]. So können folgende Qualitätsmerkmale abgeleitet werden:

 

  • Konsistenz zu Strategie und Rahmenparametern;
  • Konsistenz zu einem ggf. bestehenden Sanierungsplan;
  • Konsistenz zur Portfoliostruktur;
  • Berücksichtigung von Ertrags- und Kostensituation;
  • Konsistenz zu bereits beschlossenen Maßnahmen;
  • Umsetzbarkeit der Maßnahmen;
  • Logische Handlungsfolge.

 

Weiterhin darf gleichwohl keine Maßnahmenwillkür in den adversen Szenarien und Stresstests verfolgt werden. So sollten die Maßnahmen allgemeinhin umsetzbar sein und eine reale Entscheidungsperspektive darstellen. Insbesondere der Aspekt der realen Entscheidungsperspektiven führt zu der Konsequenz, dass im Falle des Szenarioeintritts die Maßnahme eine logische, nachvollziehbare und mitunter auch erwartbar wirksame Entscheidungsperspektive darstellt. 

 

SEMINARTIPPS

Aufsichtsfokus Stresstests/adverse Szenarien laut ICAAP-/RTF-Leitfaden, 01.04.2020, Frankfurt/M.

Gestresste Kreditportfolien: Anforderungen • Fallstricke • Praxistipps, 05.05.2020, Frankfurt/M.

10. Kölner Risikomanagement-Tagung 2020, 25.–26.05.2020, Köln.

Bewertung der Kapitalplanung im SREP: neue Anforderungen & Fallstricke, 15.06.2020, Frankfurt/M.

 

Praxisimplikationen

 

Beginnend mit der Konsistenz zu Strategie und Rahmenparametern ist zunächst darauf zu achten, dass Handlungsmaßnahmen nicht konträr zu den beschlossenen Zielen und Maßnahmen stehen. So ist im Falle von Wachstumspfaden ein Verlassen des Pfads nur in seltenen Fällen konsistent möglich. In Erweiterung dieses Szenarios wäre mit Verlassen des Wachstumspfads bzw. des strategischen Ziels die Ertrags- und Kostensituation angemessen einzubeziehen. Die Handlungsmaßnahme aus adversem Szenario müsste dies berücksichtigen und die hiermit verbundenen Auswirkungen aufzeigen. Unter Einbeziehung der Rahmenparameter sind die in adversen Szenarien verwendeten Parameter auch in der Handlungsmaßnahme konsequent fortzusetzen: So ist im Falle von Depot-A-Investitionen je nach zugrundeliegender Kapitalmarktsituation eine etwaige schwierige Liquidierbarkeit oder eine Liquidierbarkeit unter Abschlägen konsequent fortzuführen und deren Wirkung auf die Gesamtsituation des Instituts hinsichtlich Bilanzstruktur, Kosten- und Ertragssituation zu beleuchten.

 

Weitergehend ist ebenso die Konsistenz zur Portfoliostruktur zu berücksichtigen, als dass beispielsweise die Frage beantwortet werden muss, warum gerade diese Position aufgelöst wird und welche Konsequenzen hiermit verbunden sind. So ist einerseits – in Fortführung des Depot-A-Beispiels – die Frage zu beantworten, welche Position liquidiert wird und inwiefern diese Position in der jeweiligen Situation gegenüber anderweitigen Positionen zu bevorzugen ist. Eine Liquidation bestimmter Spezialfondspositionen wirkt beispielsweise nur verzögert und ist als schnelle Handlungsmaßnahme nicht geeignet. Andererseits ist ebenso die Wirkung auf die Risikokennzahlen zu berücksichtigen. Werden beispielsweise Korrelationseffekte genutzt, und eine Assetklasse, beispielsweise Immobilien oder Rohstoffe mit diversifizierender Wirkung, werden abgebaut, erhöht sich aufgrund des Wegfalls des Diversifikationseffekts die Risikokennziffer. Dies wäre entsprechend im Zuge konsequenter Handlungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

 

BUCHTIPP

Geiersbach/Prasser (Hrsg.): Praktikerhandbuch Stresstesting 4. Auflage, 2020.

 

Zuletzt sollte im umgekehrten Fall eine bloße Nennung oder Aufzählung bestimmter Handlungsmaßnahmen vermieden werden. So steht weniger die Quantität der Maßnahme im Fokus. Vielmehr ist auf eine qualitative und realistische Einbindung in die Gesamtbanksteuerung zu achten.

 

 

Zusammenfassung und Ausblick

 

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Handlungsmaßnahmen mitunter umfassenden Qualitätsmerkmalen unterliegen, die eine umfassende Auseinandersetzung mit diesen bedingen. Im Zentrum der Würdigung zur Adäquanz und Proportionalität stehen dabei immer, dass die Maßnahmen realistische Entscheidungsperspektiven bieten müssen. Demgegenüber steht die Maßnahmenwillkür, die sich durch fehlende Argumentation warum gerade genaue diese Maßnahme sinnvoll ist und warum nicht andere Positionen berücksichtigt werden oder sich gar durch eine rein quantitativ ausgerichtete Maßnahmennennung auszeichnet. Diese gilt es zu vermeiden und durch realitätsnahe und konsequent durchdachte Maßnahmen eine vollumfängliche Auseinandersetzung mit Stresstests und adversen Szenarien zu gewährleisten.



 

 

PRAXISTIPPS

 

  • Binden Sie Handlungsmaßnahmen konsequent in die Gestaltung der Szenarien ein.
  • Gestalten Sie realitätsnahe und gut durchdachte Handlungsmaßnahmen, die alle für die Steuerung relevanten Aspekte berücksichtigen.
  • Gestalten Sie bevorzugt wenige, aber dafür vollumfängliche Handlungsmaßnahmen.
  • Beachten Sie die Umsetzbarkeit der Maßnahme und die logische Handlungsfolge.
  • Begründen Sie, warum die Maßnahme eine reale Entscheidungsperspektive darstellt.

 

Literatur

 

BaFin (2017b): Rundschreiben 09/2017 (BA) vom 27.10.2017, Anl. 1: Erläuterungen zu den MaRisk in der Fassung vom 27.10.2017, erhältlich auf: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Rundschreiben/dl_rs0917_marisk_Endfassung_2017_pdf_ba.pdf?__blob=publicationFile&v=5, Abfrage vom 14.10.2018.

 

BaFin (2018.05b): Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähig2keitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung (»ICAAP«) – Neuausrichtung, 24.05.2018, erhältlich auf: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Anlage/dl_180524_rtf-leitfaden_veroeffentlichung.pdf?__blob=publicationFile&v=1, Abfrage vom 19.01.2020.


Beitragsnummer: 6194

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