Jürgen Müller, Leitender Berater, vdpConsulting AG
I. Aufsichtliche Intention
Vor dem Hintergrund hoher NPL-Portfolien in der EU beauftragte der Europäische Rat die European Banking Authority (EBA) im Rahmen des Aktionsplanes (Juli 2017) neben den Leitlinien zu „Non Performing Loans“ in die Zukunft gerichtete Leitlinien zur Kreditvergabe zu entwickeln. Die EBA stellte im Juni 2019 das Papier „Draft Guidelines on loan origination and monitoring“ mit der Möglichkeit zur Stellungnahme bis 30.09.2019 zur Konsultation vor. Mit diesem Entwurf sollen innerhalb des Aufsichtsmechanismus der EBA die bereits bestehenden Regularien, wie z. B. aus der Verbraucher-/Wohnimmobilienkreditrichtlinie in der Auslegung ergänzt/erläutert und neu gewerbliche Kreditnehmer in den Vergabe- und Überwachungsprozess mit einbezogen werden.
Der gesamte Zyklus einer Kreditvergabe, ausgehend vom „Risikoappetit“ bis zur Kredit-vergabe, Bepreisung, Hereinnahme von Sicherheiten (Immobilien und Mobilien) sowie die Kreditweiterbearbeitung und Überwachung, wird in diesem Konsultationspapier ausgeführt. Hierbei werden in Teilen die Standards unserer bisherigen MaRisk von der europäischen Aufsicht verschärft, in dem neue Sachverhalte geschaffen und Mindeststandards definiert werden sollen. Den bewährten MaRisk Regelungen in Bezug auf die Proportionalität wird nur in Teilen Rechnung getragen, so dass abzuwarten bleibt, wie die BaFin die Vorgaben der EBA umsetzen wird.
Ziel ist letztlich künftig die finanzielle Stabilität und Widerstandsfähigkeit des EU-Bankensystems weiter zu stärken.
Zusätzlich liegt aktuell auf nationaler Ebene ein Entwurf des BMF für eine „Verordnung zur Durchführung von Datenerhebungen durch die Deutsche Bundesbank zur Erfüllung der Aufgaben nach dem Finanzstabilitätsgesetz“ (Finanzstabilitätsdatenerhebungsverordnung – FinStabDEV) vor. Hierin werden umfangreiche neue Daten- und Meldeanforderungen im Hinblick auf Wohnimmobilien/Verbraucher gefordert, die auch in Teilen den Inhalten der EBA-Konsultation entsprechen.
II. Struktur des Konsultationspapiers
Nach der allgemeinen Einführung und Begründung ist die künftige Leitlinie in folgende Abschnitte eingeteilt:
Abschnitt | Erläuterung |
4 | Governance-Anforderungen Klarstellung des internen Governance- und Kontrollrahmens für die Kreditgewährung und die Kreditentscheidung auf der Grundlage der Anforderungen der EBA-Leitlinien zur internen Governance |
5 | Kreditvergabe Anforderungen an die Informations- und Datenerhebung von Kreditnehmern, Dokumentation und an die Kreditwürdigkeitsprüfung der Kreditnehmer |
6 | Preisgestaltung Aufsichtsrechtlichen Erwartungen für die risikobasierte Preisgestaltung von Krediten |
7 | Kreditsicherheiten (Immobilien und Mobilien) Anforderungen an die Bewertung von unbeweglichen/beweglichen Kreditsicherheiten (ohne finanzielle Sicherheiten) zum Zeitpunkt der Kreditgewährung und die laufende Überwachung |
8 | Laufende Überwachung des Kreditrisikos inclusive der Risikofrüherkennung |
Die Abschnitte nehmen Bezug auf drei Anlagen. Diese sind nicht als Beispiele aufgeführt, sondern sind als Mindeststandards definiert. Damit einher geht ein erheblicher Eingriff in die bisher je nach Institutsgröße und Komplexität der Geschäfte freien Gestaltungsspielräume der Institute.
Anhang | Erläuterungen |
1 | Kriterien für die Kreditgewährung an Verbraucher und gewerbliche Kreditnehmer inclusive Gewerbeimmobilien und Schiffsfinanzierung |
2 | Einholung von Unterlagen und deren Verifizierung mit speziellen Ausführungen zu Immobilienentwicklung, Schiffsfinanzierung und Projekt- und Infrastrukturfinanzierung |
3 | Kennzahlen für die Kreditgewährung und die Kreditüberwachung |
III. Zusammenfassung wesentlicher Parameter
1. Governance
Die Institute haben ausdifferenzierte Konzepte für die Festlegung des Risikoappetits und daraus abgeleitet für die Risikostrategie, Schriftliche fixierte Ordnung und die darauf auf-bauenden Prozesse und die Überwachung vorzuhalten. Hierbei sind verstärkt rückwärtsbe-trachtende Ableitungen mit in die Zukunft gerichteten Perspektiven zugrunde zu legen. Es soll ein funktionsfähiges IKS vorliegen und nach derzeitigem Stand der Konsultation ist ein Zwei-Voten-Verfahren (entgegen MaRisk im nicht risikorelevanten Geschäft) unter Einbindung der Marktfolgen, sowie ein „Three Lines of Defence“-Modell vorgesehen.
Das Institut hat für ausreichend Ressourcen und Mitarbeiter zu sorgen. Es werden qualifizierte Mitarbeiter vorausgesetzt, die regelmäßig und insbesondere z. B. bei Gesetzesänderungen geschult werden.
SEMINARTIPPS
Neue EBA-Guideline zur Kreditvergabe/-überwachung, 16.03.2020, Frankfurt/M.
Aktuelle Werthaltigkeits-/PAAR-Prüfungen der Bankenaufsicht, 21.04.2020, Köln.
Prozessprüfungen im Kreditgeschäft, 05.05.2020, Frankfurt/M.
Prüfung Kreditvergabestandards, 17.06.2020, Frankfurt/M.
2. Kreditvergabe
Die Institute sind aufgefordert, detaillierte Anforderungen an die Kreditvergabestandards inclusive Unterlagen/ Informationen zu entwickeln und hierbei ein Set an Kennzahlen für Verbraucher und gewerbliche Kreditnehmer vorzuhalten. Die heute im § 18 und 18 a KWG bzw. in 505 a bis 505 e BGB gemachten Ausführungen werden über die Richtlinie ausgeweitet und es kommt zu einer Annäherung der Prüfungspflichten zwischen AVD und IVD.
Für gewerbliche Kreditnehmer und speziellen Finanzierungen wie Gewerbeimmobilien oder die Immobilienentwicklung werden gesonderte zusätzliche Anforderungen definiert. Das heute in den MaRisk stark verankerte Proportionalitätsprinzip und der hohe Gestaltungsspielraum der Institute unterliegt Einschränkungen. Im Vordergrund steht stets die Kapitaldienstfähigkeit bzw. der Cashflow und es werden umfängliche Sensitivitätsanalysen erwartet. Eine Kreditvergabe rein auf Basis von Sicherheiten wird bei gewerblichen Kreditnehmern ausgeschlossen. Im Bereich der Immobilienentwicklung werden in Teilbereichen „Experten/ Sach-verständige“ gefordert (Kosten/Verkaufspreise).
BUCHTIPP
Arbeitsbuch Neue Werthaltigkeits-/PAAR-Prüfungen im Kreditgeschäft, 2019.
Unklar ist, ob das in Deutschland praktizierte Ein-Voten-Verfahren im nicht risikorelevanten Geschäft in der bekannten Form weiterhin Bestand haben wird.
3. Preisgestaltung
Die Konsultation sieht eine deutlich stärkere Fokussierung für die Preisgestaltung auf Basis des einzelnen Kredites vor. Es werden z. B. Komponenten wie Kapitalkosten, Refinanzierung, Einzel-Stückkosten, sowie Ausfallwahrscheinlichkeiten genannt. Die Berechnung soll z. B. über einen EVA-Rechner (Economic Value Added) erfolgen.
4. Immobilien und mobile Sicherheiten
Es wird erwartet, dass jede hereingenommene Sicherheit einem nachvollziehbaren und validen Bewertungsprozess unterzogen wird. Es sind adäquate Gutachten von sachverständigen Mitarbeitern, die unabhängig vom Vergabeprozess sind, zu erstellen. Bei mobilen Sicherheiten sind angemessene und belastbare Modelle vorstellbar. Bei Immobilien steht unverändert der sachverständige Wertermittler im Vordergrund und die Bewertung hat nach nationalen oder internationalen Standards über den Markt- oder Beleihungswert gemäß CRR zu erfolgen.
Für die Immobilienbewertung verfestigt sich, dass eine Gutachterrotation nach der zweiten Bewertung erforderlich sein und die bisher gängigen Preismodelle mit Abrechnung nach Objektwert nicht mehr vorgesehen wird (s. auch NPL-Leitfäden EBA/EZB). Die bisher gut eingeführte Parameterüberprüfung bei der Immobilienüberwachung soll durch ereignisbasierte Trigger, wie z. B. Kreditqualität nach IFRS 9 oder der Turnus z. B. durch den vorhandenen Beleihungsauslauf (LTV) ergänzt werden. Die eingesetzten und etablierten Marktschwankungskonzepte sind differenzierter auf Institutsebene einzusetzen, was heute bereits Standard sein sollte.
5. Überwachungsrahmenwerk
Gegenüber den aktuellen MaRisk ist dieser Abschnitt deutlich ausdifferenzierter gestaltet. Es werden institutsspezifische Kennzahlen zur Steuerung der Risiken und Einbeziehung in die künftige Strategieausrichtung erwartet.
An die Überwachung der Einzelrisiken (Höhe und Turnus), als auch der Portfolien und die Berichterstattung werden komplexe Anforderungen gestellt.
PRAXISTIPPS
• Strategie unter enger Verzahnung Risikocontrolling/Vorstandsstab/Marktfolge festlegen
• Hausinterne Kriterien der Kreditvergabe überprüfen und ggfs. weitere Kennzahlen implementieren
• Sensitivitätsanalysen überprüfen/einführen
• Elektronische Kreditakte, sofern nicht vorhanden, einführen
• DIFIN für Bilanzeinspielung/Analyse nutzen
• Anforderungen an die Bewertung und Überwachung von Sicherheiten auf Anpassungsbedarf sichten
• Überwachungsrahmenwerk auf EWI sichten
• EWB-Backstop aus CRR II und Watch-List implementieren
Beitragsnummer: 5160