Frank Neumann, Leiter Controlling, Sparkasse Bodensee
Ein kleines Virus hält die Welt in Atem. Durch den Lockdown kommt die Wirtschaft zum Stillstand. Eine weltweite Rezession steht bevor. Alte politische Egoismen flammen neu auf. Ein (temporärer) weltweiter Wohlstandsverlust darf erwartet werden. Die Politik und Notenbanken stemmen sich mit gigantischen Hilfsmaßnahmen und Schutzschirmen gegen die Entwicklung, aber können alle Staaten es sich auch leisten? Droht die nächste Staatschuldenkrise oder gar Schlimmeres? Wie wirkt sich diese Entwicklung auf den nationalen und internationalen Zusammenhalt aus?
Erwartet werde die schlimmste Entwicklung seit der Weltwirtschaftskrise in den 1920er und 30er Jahren, befürchtet die IWF-Direktorin Kristalina Georgiewa am 09.04.2020 in Washington. Es handele sich um eine beispiellose Krise.
Im Alltag – eine Herausforderung mehr …
Schon vor der Corona-Krise waren insbesondere deutsche Volksbanken und Sparkassen aufgrund ihres Geschäftsmodells mit signifikanten Herausforderungen konfrontiert. Das Risikomanagement einer Bank wurde in zunehmendem Maße zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor, da dort geschäftspolitische Entscheidungen, beginnend bei der allgemeinen strategischen Ausrichtung bis hin zu Vertriebssteuerung/Pricing, vorbereitet werden. Niedrigzinsphase, zunehmende Volatilitäten, strategische Risiken, Digitalisierung und nach wie vor ein hoher Regulierungsgrad mit steigenden Anforderungen stellen die Banken bereits ohne den exogenen Schock einer Corona-Krise vor z. T. existenzielle Herausforderungen. Die beobachteten Entwicklungen an den Finanzmärkten und die unvorhersehbaren aber mit Sicherheit gravierenden Folgen für die Wirtschaft sowie dadurch die gehaltenen Finanzierungen und Ergebnisbestandteile verschärfen die Situation teils dramatisch. Durch die inzwischen vorgenommenen Anpassungen der Aufsicht besteht aktuell die Chance, die Prioritäten voll und ganz auf den Umgang mit der Corona-Krise zu konzentrieren.
SEMINARTIPPS
Gesamtbanksteuerung: Neue Anforderungen, Prüffelder & Feststellungen, 16.06.2020, Frankfurt/M.
Neue ILAAP-Vorgaben: Handlungsoptionen für Liquidität- & Banksteuerung, 02.11.2020, Hamburg.
Negativzinsen: Herausforderungen für Banksteuerung und Kundengeschäft, 03.11.2020, Hamburg.
FCH Fit & Proper VORSTAND: Fokus Gesamtbanksteuerung/Risikomanagement, 25.11.2020, Frankfurt/M.
§ 44er Sonderprüfungen zur Gesamtbanksteuerung, 01.12.2020, Frankfurt/M.
Vorschläge zur Prioritätensetzung
Priorität 1: Sicherstellung der operativen Handlungsfähigkeit
Die meisten Institute haben hierfür bereits die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Notfallpläne wurden aktiviert und ggf. revidiert, Krisenstäbe gebildet sowie die notwendigen Maßnahmen zum Erhalt der Handlungsfähigkeit ergriffen. Der nach wie vor ungewisse Krisenverlauf sorgt täglich für neue Herausforderungen.
Priorität 2: Treasury-Auswirkungen handhaben
Zur operativen Handlungsfähigkeit gehört auch, weiterhin die Transformationsfunktionen ausüben zu können. Bisher beispiellose Kursvolatilitäten an Aktienmärkten zeigten oft die Schwächen im Limitsystem auf. Anziehende (Liquiditäts-) Spreads belasten die Vermögenswerte und Ertragslage immens. In dieser Situation muss Klarheit über die Refinanzierungszugänge, Verlustabsorptionsmöglichkeiten und Bewertungsoptionen bestehen, um auch im Verlauf des übrigen Jahres noch handlungsfähig zu bleiben.
Priorität 3: Kundenkreditgeschäft
Neben dem obligatorischen Quick-Check des Kreditportfolios (tangierte Branchen, Risikotreiber, Bewertungssimulationen …) geht es vor allem darum, tatsächliche Ausfälle zu vermeiden. Dies erfolgt durch möglichst enge Begleitung von Risikotreibern/Großkunden sowie durch Weitergabe der Hilfspakete. Dennoch ist davon auszugehen, dass zuerst Eigenmittelbindungen durch Forbearance/Zahlungsverzüge steigen und erst im zweiten Schritt tatsächliche Wertberichtigungen in ggf. bislang noch nie dagewesenem Ausmaß drohen.
Priorität 4: Bewusstseinsbildung zum künftigen Geschäftsmodell
Für Banken bleibt nicht viel Zeit, bis die Ertrags-, Kredit- und Kapitalrisiken erkennbar werden. Unabhängig von der Größe des Instituts oder seines Geschäftsmodells kommt es jetzt darauf an, sich bestmöglich auf einen drohenden wirtschaftlichen Sturm vorzubereiten. Hierfür ist es zielführend, mögliche Ergebnisbelastungen und Kapitalrisiken zu simulieren sowie mithilfe von Szenarien die verbliebenen Handlungsoptionen/Planungen im Management zu diskutieren. Die vor Corona bereits stark gestressten Geschäftsmodelle insb. bei Universalbanken stoßen durch die aktuelle Krise an ihre Belastungsgrenzen. Es zeichnet sich ein enormer Veränderungsdruck und notwendige Veränderungsgeschwindigkeit ab, die tradierte Herangehensweisen überfordern dürfte. Zur Handhabung ist Vorbereitung ein sinnvolles Instrument, auch wenn nichts so ungewiss ist wie die Zukunft.

PRAXISTIPPS
- Priorisieren Sie Ihren Ressourceneinsatz insbesondere zum Erhalt der Handlungsfähigkeit und zur Vermeidung von Kreditausfällen.
- Neben all der operativen Leistung sollte „die Zeit nach Corona“ bereits jetzt in Szenarien und anlassbezogenen Aktualisierungen von (Kapital) Planungen simuliert und diskutiert werden.
- Alles ist für etwas gut – welche Chancen bietet die Krise für Ihr Geschäftsmodell? Ergeben sich ggf. neue Geschäftsfelder, vermarkten Sie Ihre Krisenbetreuung als künftigen Imagebaustein?
Beitragsnummer: 6481